Wenn dein dunkles Herz mich ruft (German Edition)
sie trotzdem sehen.
„Schnell“, wisperte die Frau, „Uns bleibt nicht mehr viel Zeit, er fiebert.“
„Was ist passiert?“
„Er wurde angeschossen. Von den Spaniern.“ Die Kleine vertraute ihr noch nicht, das fühlte sie. Wie verzweifelt musste sie sein, mit einer alten, entstellten Frau mitzugehen? Einer Hexe wie ihr das Leben eines Freundes anzuvertrauen?
Und wie lebte die Frau, dass so etwas überhaupt nötig sein musste? Etwa so wie Melinda? Würde sie das gleiche Schicksal ereilen wie damals ihre Tochter?
„Komm, komm. Ich kann helfen. Ich kenne Medizin.“
„Wer sind Sie?“ Eine Männerstimme, klar, kräftig und angenehm. Er sprach mit Akzent, als wäre er nicht in der Karibik aufgewachsen, und vor ihrem inneren Auge formte sich das Bild von einem jungen Mann, einem Piraten.
„Crow. Nennt mich Crow. Das tun hier alle.“
„Sie sehen nicht aus wie eine Baderin“, warf der Mann ein und blieb stehen.
„Keine Baderin. Heilerin. Besser, viel besser. Nun kommt. Keine Zeit, müssen uns beeilen. Kommt, kommt.“ Der Stab wurde wärmer, als sich die Frau näherte, er gab ihr die Kraft, schneller zu gehen. Es eilte.
Und dann spürte sie noch etwas anderes, etwas, das von der Energie der Frau überdeckt wurde und sich mit ihr näherte. Etwas Böses. Sie kreischte auf und sprang zurück. „Wer ist das“, schrie sie. „Wer ist dieser Mann?“
„Das ist Tyler. Er … ist unser Freund. Bitte helfen Sie ihm!“
Die Frau klang so verzweifelt. Sollte sie ihr sagen, dass der Mann, den sie liebte, böse war? Vielleicht wusste die Frau selbst noch nichts von ihren Gefühlen, doch Crow konnte die zarten Emotionen in der Luft schmecken. Wie Rosen und Honig und Kräuter, bittersüß und intensiv. „Nein, nein“, murmelte Crow. „Sie muss es selbst heraus finden.“
Die alte Frau war unheimlich, ihre Augen waren ebenso weiß wie die Locken, die ihr bis zur Hüfte reichten. Manchmal war darin ein Schimmer, wie von einer Reflexion ihrer ehemaligen Farbe, aber jetzt blickten sie blind und milchfarben in die Ferne.
Kimberly fühlte sich in ihrer Gegenwart seltsamerweise wohl, obwohl sie ihr unheimlich war und sie nicht genau verstand, was die Alte vorhatte. Crow. So ein seltsamer Name.
„Wo bringen Sie ihn hin?“
„Zu mir, mein Kind. Dort kann ich ihm helfen. Kommt, kommt. Es eilt.“
Sie führte sie fort von den Hütten und Häusern und tiefer in den Dschungel.
Die Bäume, die sich über ihren Köpfen wie ein Dach ineinander verworren hatten, hielten die Sonne ein wenig ab, stauten aber auch die Hitze. Kimberly spürte, wie sich eine Schicht aus Schweiß zwischen ihrer Schulter und Tylers Arm bildete. Frankie neben ihr keuchte und wischte sich mit der freien Hand übers Gesicht. Wurzeln bohrten sich in ihre nackten Füße und in der Nähe schrie ein Vogel. Wenn die Holy Devil hier vor Anker ging, mied Kimberly den Dschungel normalerweise und hielt sich lieber am Strand oder in den Hütten oder in den wenigen Häusern auf.
Etwas Großes, Beflügeltes rauschte über ihren Köpfen hinweg und Kimberly sah gerade noch einen Streifen von roten und gelben Federn, bevor das Tier in einem der Bäume verschwand. Und überall brummte die Luft von unzähligen Insekten, Mücken umschwirrten sie, ließen sich von der dünnen Kleidung nicht davon abhalten, zu trinken. Kimberly verscheuchte einen Schwarm Fliegen, die Tylers Blut gerochen hatten und bedeutete Frankie schneller zu gehen. Ihnen lief die Zeit davon.
„Wie weit ist es noch?“ Ihre Kehle brannte, verlangte das Wasser, das sie mit jedem Schritt ausschwitzte und in den Boden sickern ließ.
„Nicht weit, nicht weit.“
Tyler ächzte und murmelte im Fieber Dinge vor sich hin, die zu leise und undeutlich waren, um sie zu verstehen. Die Finger, die schlaff auf Kimberlys Schulter ruhten, zuckten zwischendurch, bevor sie sich wieder entspannten.
Bald lichtete sich der Dschungel ein wenig und vor ihnen erschien eine Hütte, die so sehr mit Pflanzen bedeckt war, dass sie auf den ersten Blick kaum zu erkennen war. Der Eingang war hinter einem Blättervorhang verborgen und die ganze Hütte schien mit dem Dschungel verbunden und verflochten zu sein.
Crow schob die Blätter zur Seite und hielt ihn auf, damit die Piraten Tyler ins Innere tragen konnten. In der Hütte herrschte ein grünes Dämmerlicht und auch hier hatte sich Wärme angestaut, allerdings war es etwas erträglicher. Crow räumte den schiefen Holztisch ab und wies Frankie an, den Verwundeten
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