Wenn der Eukalyptus blüh dorothea1t
den Händen hielt er ein äußerst geschmackvoll gebundenes Bukett aus weißen Rosen und gelben Lilien.
» Meine Güte, hast du dich herausgeputzt, alter Junge«, begrüßte August ihn, während er ihm herzlich die Hand schüttelte. » Du bist ja kaum wiederzuerkennen. Wie Doro das geschafft hat, ist mir ein Rätsel.«
» Vielleicht hat sie auf andere Dinge geachtet als die Kleidung«, erwiderte Ian mit seiner melodischen Stimme und verbeugte sich tief vor seiner Gastgeberin. » Mrs. Schumann, darf ich Ihnen mein tief empfundenes Mitgefühl aussprechen? Leider habe ich erst vor Kurzem von Ihrem Verlust erfahren. Umso mehr weiß ich Ihre freundliche Einladung zu schätzen.« Er überreichte ihr den Blumenstrauß, bevor er sich langsam, fast zögernd Dorothea zuwandte.
» Mrs. Masters? Robert hat in seinem letzten Brief von Ihnen geschwärmt, aber ich wäre nicht im Traum auf die Idee gekommen, dass du, Verzeihung,… dass Sie es sind.«
» Im Hinblick auf mich übertreibt Robert gerne«, sagte sie äußerlich unbewegt. » Und lass das Mrs. Masters, Ian. Ich bin sicher, Robert würde nicht von uns erwarten, dass wir unsere alte Freundschaft hinter Förmlichkeiten verstecken.« Etwas in ihr drängte sie, auf ihn zuzugehen und ihre Arme um ihn zu schlingen, wie sie es damals beim Abschied getan hatte. Damals hatte er es stocksteif über sich ergehen lassen. Ob er immer noch so reagieren würde? Wie sein Körper sich wohl jetzt anfühlen mochte?
Doch sie unterdrückte den Impuls und streckte die Rechte aus. » Herzlich willkommen. Ich hoffe doch, wir werden uns in nächster Zeit häufiger sehen.« Sein Händedruck fiel recht flüchtig aus. Als scheute er davor zurück, sie zu berühren. Und so schnell wie möglich wandte er sich den übrigen Familienmitgliedern zu.
Die Jungen hatten auf Bitten der Mutter den großen Tisch in den Garten getragen. Die bunten Lampions, die Lischen und Heather dort in den nahen Ästen befestigt hatten, verliehen dem Ganzen einen Hauch von Sommernachtsfest. » Wir haben überlegt, als Vorspeise diesen entsetzlichen Porridge zu kochen, den es immer zum Frühstück gab– weißt du noch?–, aber wir haben uns dann doch lieber für etwas anderes entschieden«, sagte August und grinste breit. » Die Schiffskost war wirklich eine harte Prüfung.«
» Ich fand’s schon gut, dass es dreimal am Tag zu essen gab«, sagte Ian leise und neigte den Kopf über die gefalteten Hände, während Mutter Schumann das Tischgebet sprach. » Im Arbeitshaus war das nicht selbstverständlich.«
» Du warst in einem Arbeitshaus?« Lischen sah ihn aus großen Augen an. » Ist es wirklich so schrecklich dort, wie es heißt?«
» Ich war nicht lange dort, aber ein angenehmer Aufenthalt ist es nicht«, erwiderte Ian erstaunlich gleichmütig. » Bevor die Constabler mich von meinen Leuten wegholten, war ich jedenfalls besser dran, auch wenn ich nicht jeden Tag satt wurde.«
Dorothea erinnerte sich, dass er jeder ihrer Fragen nach seiner Familie stets ausgewichen war. Sie wusste nur, dass er von jemandem im Messerwerfen unterrichtet worden war, einen kleinen Hund namens Bagster besessen hatte und weder lesen noch schreiben gelernt hatte. Plötzlich gaben die Puzzleteile einen Sinn: Die Behörden steckten Zigeunerkinder, die aufgegriffen wurden, manchmal in Arbeitshäuser. Aber Ian Rathbone war kein Zigeunername.
» Was hat dein Vater gearbeitet?«, bohrte Lischen bereits nach, während Dorothea noch darüber nachdachte, wie er zu diesem Namen gekommen war.
» Sei nicht so impertinent!«, sagte Mutter Schumann mit deutlichem Tadel in der Stimme. » Unser Gast muss sich ja vorkommen wie bei einem Verhör. Möchten Sie noch von den grünen Bohnen, Mr. Rathbone?«
» Danke, gern.« Ian wandte den Kopf so, dass er Dorothea direkt ins Gesicht sah. Es kam ihr vor, als spräche er nur zu ihr. » Ich weiß nicht einmal, wer meine Eltern waren. Die einzigen Erinnerungen, die ich habe, sind die an den Gypsie-Clan, bei dem ich aufwuchs.«
» Wie aufregend«, hauchte Lischen. » Kannst du Feuer spucken?«
Die Anspannung wich aus seinem Gesicht, als er in herzhaftes Gelächter ausbrach. Fasziniert beobachtete Dorothea die Veränderung an ihm: Alles Düstere war von ihm abgefallen. Geradezu kindlich wirkte er in seiner ungehemmten Fröhlichkeit. » Tut mir leid, damit kann ich nicht dienen«, sagte er. » Solche Künste beherrschen nur die besten unter den Gauklern.«
» Dafür warst du ein wahrer Meister mit dem
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