Wenn der Eukalyptus blüh dorothea1t
schüttelte nur leicht den Kopf. Stumm saßen sie eine Weile auf der Taurolle und verfolgten die halsbrecherischen Flugmanöver der Seevögel, die hier in der Nähe des Kaps der Guten Hoffnung in Scharen unterwegs waren, um unvorsichtige Fische zu erbeuten.
Beide hatten in den vergangenen Wochen gute Fortschritte gemacht. Ian konnte inzwischen leicht stockend, aber problemlos lesen und einigermaßen leserlich schreiben, was Dorothea ihm diktierte. Ihre Fertigkeiten im Messerwerfen konnten sich ebenfalls sehen lassen. Nahezu jeder Wurf traf in den innersten Ring. Ian hatte sie so lange üben lassen, bis sie auch aus größerer Entfernung absolut treffsicher geworden war. Seine Beharrlichkeit als Lehrer war ihr nicht ganz verständlich. Vermutlich war es eine Art Stolz, die es ihm verbot, etwas ohne Gegenleistung anzunehmen. Deshalb hatte sie auch dann noch weitergemacht, als der Reiz der ungewöhnlichen Übung schon längst verflogen war.
Eine lautstarke Auseinandersetzung auf dem Oberdeck ließ sie beide aufhorchen. Nicht nur Dorothea machte die Enge zu schaffen, auch die meisten anderen Passagiere reagierten zunehmend gereizt auf den kleinsten Anlass.
Streitereien um den besten Platz zum Wäschelüften, die größere Essensportion, vermeintliche Kränkungen– nichts war zu unwichtig, um sich nicht darüber in die Haare zu geraten. Auch jetzt vermengten sich Männer- und Frauenstimmen zu einem Chor der Disharmonie.
» Damn you, bloody bigot!«, kreischte ein schriller Sopran. » Show ’em what a good englishman can!«, schrie eine andere.
» Langsam, Leute, nicht so schnell. Was ist denn überhaupt los?« Das war Augusts Stimme, aus der nichts als Unverständnis sprach. » Bleib hier«, befahl Ian schroff und schlich an die Ecke der Back, von der aus man einen ganz guten Überblick auf das Oberdeck hatte. Natürlich folgte Dorothea ihm. Ihr Bruder stand umringt von finster blickenden Seeleuten vor dem Hauptmast und sah zunehmend besorgt in die Runde. Neben ihm stand die Kleine aus Ians Gruppe, vor deren Berührung Theas Bruder am ersten Abend noch zurückgezuckt war.
Spätestens seit der Neptuntaufe hatte er jedoch an ihrer Gegenwart nichts mehr auszusetzen gehabt, erinnerte Dorothea sich. Sie selbst hatte das Spektakel mit ihrer Mutter, den jüngeren Geschwistern, dem Kapitän und Dr. Miller vom Achterdeck aus verfolgen müssen. Obwohl August und sie die Mutter tagelang bestürmt hatten, war sie in diesem Punkt hart geblieben. » Ein junges Mädchen aus gutem Haus hat bei so etwas nichts verloren!«
Voller Neid hatte sie zugesehen, wie alle anderen von den in aberwitzigen Kostümen steckenden Seeleuten in einen großen Bottich mit Seewasser getaucht wurden, während ihr der Schweiß in Strömen den Rücken herunterlief. Die triefend nassen Täuflinge hatten sich danach nicht sofort umgezogen. In der durch die Extraportion Rum angefeuerten Stimmung hatte sich dort unten im Nu ein ausgelassenes Tanzvergnügen entwickelt. Alles wirbelte wild durcheinander, und August als einer der wenigen gut aussehenden, jüngeren Männer war überaus begehrt als Partner gewesen. Sie hätte nicht zu sagen gewusst, worum sie ihn mehr beneidet hatte: um das kühle Bad in der schwülen Mittagshitze oder um den Spaß, den er hatte, während sie höfliche Konversation mit dem grässlichen Dr. Miller und dem Kapitän machen musste. Wenn sie wenigstens wie Karl die Möglichkeit gehabt hätte, sich hinter einem Zeichenblock zu verstecken!
Sie hatte nach Ian Ausschau gehalten, ihn aber unter den Tänzern nicht entdecken können. Dafür war ihr aufgefallen, dass August und das Mädchen sich plötzlich ausnehmend gut zu verstehen schienen.
Jetzt umklammerte das Mädchen mit der schief sitzenden Haube trotzig Augusts Arm und beschimpfte ebenso lautstark wie unverständlich einen der Männer. Es war ein bärenstarker Kerl mit fettigen Haaren, verfilztem Bart und braunen Lippen, die davon rührten, dass er ständig Priem kaute. Er sah ziemlich gefährlich aus, wie er breitbeinig dastand, die bloßen Füße fest auf den Planken, die muskulösen Arme über der Brust verschränkt.
Dorothea wollte an Ian vorbeischlüpfen, um ihrem Bruder beizustehen, aber Ian streckte einen Arm aus und hielt sie zurück.
» Bleib hier, hab ich gesagt«, zischte er. » Vielleicht kriegt Millie das hin. Sie ist nicht auf den Mund gefallen.«
Um sich aus seinem überraschend festen Griff zu lösen, hätte sie mehr Kraft aufwenden müssen, als sie hatte. Also
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