Wenn es Nacht wird in Miami
hatte einen Schluckauf, und Mitch spürte sein nasses Gesicht an seinem Hals. Mit dem Kind auf dem Arm setzte er sich in den Schaukelstuhl und stieß sich vorsichtig mit dem Fuß ab. Verzweifelt versuchte er, die Erinnerungen, die dabei in ihm aufstiegen, nicht zu nah an sich heranzulassen.
Aber seine Erinnerungen ließen sich nicht einfach so verdrängen. Wieder saß er im Schaukelstuhl und wiegte einen kleinen Jungen, der Bauchweh hatte, und sagte ihm leise beruhigende Worte ins Ohr, summte ein Liedchen. Es war haargenau wie früher. Rhett fühlte sich genauso an wie Travis, roch wie Travis, benahm sich wie Travis. Mitch hätte ihn damals so gern adoptiert und zu seinem eigenen Sohn gemacht …
Er merkte, wie Rhetts Körperspannung nachließ. Das Kind war zur Ruhe gekommen und kurz davor einzuschlafen. Die Ruhe, die sich in dem Kinderzimmer ausbreitete, übertrug sich nun endlich auch auf Mitch. Er hatte das vermisst. Erst jetzt merkte er, dass ihm diese Augenblicke des inneren Friedens gefehlt hatten.
Wie angewurzelt blieb Carly in der offenen Tür des Kinderzimmers stehen und traute weder ihren Augen noch ihren Ohren. Dort saß wahrhaftig Mitch Kincaid im Schaukelstuhl, hielt den kleinen Rhett auf dem Arm und summte – summte! – leise vor sich hin, während er dem Kind den Rücken streichelte. Rhett schlummerte friedlich, den Kopf an Mitchs nackte Brust gelehnt.
Carly kamen fast die Tränen, auch wenn sie Mitch gegenüber immer noch misstrauisch war. Oder war das hier etwa der wahre Mitch? Hatte Rhett schließlich doch sein Herz erobert und diesen Panzer aus Kälte und Arroganz zerstört?
Als Carly genauer hinsah, bemerkte sie, dass Mitch sehr traurig aussah.
Leise trat sie näher. Mitch hob den Kopf. „Stimmt etwas nicht?“, fragte sie.
„Rhett ist aufgewacht und hat geschrien, aber es war niemand da.“
Ein vorwurfsvoller Unterton schwang in den letzten Worten mit. Mitch stand auf, trug den Kleinen zu seinem Bett und legte ihn behutsam hinein. Carly bewunderte dieses Mal ausnahmsweise nicht seine breiten Schultern, sondern staunte über die Routine, mit der Mitch das Kind hielt, die Decke zurückschlug und es hinlegte, ohne es zu wecken.
Als Mitch sich wieder umdrehte, konnte Carly dann doch nicht umhin, ihn zu betrachten. Er hatte einen fantastischen Körper: ein mächtiger Brustkorb und ein flacher, muskulöser Bauch. Eine feine Spur dunkler Härchen lenkte ihren Blick zu seinem Bauchnabel und zum Hosenbund. Dann sah Carly zu seinen kleinen, flachen Brustwarzen. Unwillkürlich befeuchtete sie sich die Lippen.
„Es tut mir leid“, sagte sie, als sie beide wieder draußen auf dem Flur waren. „Ich habe vergessen, das Babyfon mit in die Dusche zu nehmen.“
„Denken Sie künftig daran.“
Eines musste Carly auf jeden Fall noch wissen, bevor sich ihre Wege gleich trennten: „So etwas machen Sie doch nicht zum ersten Mal?“
Mitch blieb stehen und drehte sich zu ihr. „Ich habe Ihnen ja gesagt, dass ich mich mit Kindern auskenne.“
„Und wie kommt das? Haben Sie eigene Kinder, die woanders leben?“
„Nein.“
„Sondern?“
„Lassen wir das Thema.“
Sie trat in dem nur schummrig erleuchteten Korridor einen Schritt auf Mitch zu. „Das sagen Sie so oft. Springen Sie mal über Ihren Schatten, und haben Sie ein bisschen Vertrauen zu mir.“
Es dauerte einen Moment, bis Mitch sich überwand. „Ich war früher mit einer Frau verlobt, die einen Sohn in Rhetts Alter hatte.“
„Und was ist aus ihr geworden?“
„Sie hat es sich anders überlegt und ist zu ihrem Exmann zurückgekehrt.“
Carly legte ihm die Hand auf den Arm. Es war eine spontane Geste, die sie nicht beabsichtigt hatte. Und erst als sie ihn berührte und die Wärme seiner Haut spürte, wurde ihr richtig bewusst, was sie tat: Sie spielte mit dem Feuer. Ein Muskel unter ihrer Hand zuckte, aber Mitch wich nicht zurück, und auch Carly ließ ihre Hand, wo sie war.
Sie sahen sich in die Augen. Für eine Sekunde dachte Carly, es läge etwas wie eine Frage in seinem Blick, dann war dieser Moment auch schon wieder vorbei. Mitch schlang ihr den Arm um die Taille und zog Carly an sich. Durch ihr Nachthemd und den dünnen Morgenmantel hindurch spürte sie seine Körperwärme und erschauerte.
„Ist es das, was du willst, Carly?“, fragte er. Und schon küsste er sie überfallartig und mit ungezügelter Leidenschaft.
Sie konnte nur noch einen gedämpften Protestlaut von sich geben. Das war genau das, was nicht geschehen
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