Wenn es Nacht wird: Psychothriller (German Edition)
wenigen Worten gerecht werden konnte. Ich dachte an ein paar schöne Nächte zurück, die wir zusammen verbracht hatten, in denen wir getanzt, gearbeitet und uns amüsiert hatten. Ich sah sie vor mir, wie sie sich vor Lachen krümmte, weil eine Russin versuchte, einen Kerl aus Streatham aufzureißen, der sie für eine Schottin hielt. Sie hatte Tränen gelacht …
»Sie war wunderschön, klug und lustig … Und zu mir war sie nett. Trotz allem. Sie war nett.«
»Trotz allem?«
»Sie dachte …«, sagte ich, hielt aber plötzlich inne.
»Was dachte sie?«
Er saß da und sah gelassen drein, so als würde es ihn nicht sonderlich interessieren, was ich zu sagen hatte. Doch ich wusste, dass er auf jedes einzelne Wort achtete.
»Ist das ein Verhör?«, fragte ich.
»Nein, natürlich nicht«, sagte er hastig. »Du musst nicht antworten. Ich interessiere mich nur für sie.«
»Sie dachte, ich würde ihr den Freund ausspannen«, sagte ich schließlich und sah Carling prüfend an.
Er sah mich auch an, doch ich hätte nicht sagen können, was er dachte.
»Und, wolltest du?«
Zwei Wochen nachdem ich auf die Revenge gezogen war, fuhr ich nach London.
Caddy wohnte in einer Wohnung in Walworth, nicht weit von meiner alten Wohnung in Clapham. Ich fand sie mühelos, ließ mir Zeit und überlegte, ob es überhaupt richtig war, sie zu besuchen. Es war ein Sonntagnachmittag, ich wusste nicht einmal, ob sie schon auf war. Doch selbst für eine Nachteule wie Caddy war die Uhrzeit einigermaßen vernünftig.
Zu meinem Erstaunen kam sie gleich an die Tür. Sie trug Jeans und ein graues T-Shirt, das ihren Busen und ihre schmale Taille betonte.
»Oh«, sagte sie.
Mit offenem Haar, das ihr über die Schultern fiel, und ohne Make-up sah sie völlig anders aus. Sie wirkte sehr jung. Mir wurde klar, dass ich sie nie gefragt hatte, wie alt sie war, sondern einfach angenommen hatte, wir wären ungefähr gleich alt. Doch an diesem Sonntagnachmittag im April sah sie fast wie ein Teenager aus.
Einen Augenblick dachte ich, sie würde mir die Tür vor der Nase zuschlagen, doch die Neugier schien zu siegen, also trat sie beiseite und ließ mich rein.
Ihre Wohnung war makellos sauber, ich musste Caddy beim Putzen unterbrochen haben: Ein Wischlappen und ein Eimer standen in der Kochnische, der Kachelboden war feucht. Der große, helle Wohnraum roch nach Bleichmittel. Die Türen zu einem kleinen Balkon standen offen. Von unten drang leise der Verkehrslärm der South Circular herauf.
»Möchtest du was trinken?«
»Ja, das wäre nett, danke. Wasser ist okay.«
Ich setzte mich auf ein weißes Ecksofa mit Blick auf eine futuristische Tapete in schwarz-weißem Design. Mir wurde ganz schwindelig.
»Fitz war stinksauer, dass du gegangen bist«, sagte sie und reichte mir ein Glas Wasser mit Eis.
»Den Eindruck hatte ich nicht, als ich es ihm gesagt habe.«
Sie saß mir gegenüber, hatte die Beine übereinandergeschlagen und zeichnete mit ihren nackten braunen Füßen einen Kreis.
»Was ist passiert? Warum bist du so plötzlich gegangen?«
»Ich hatte – einfach genug, glaube ich. Ich habe mir ein Boot gekauft.«
»Was – so was wie eine Jacht?«
»Nein, einen Frachtkahn. Ich möchte darauf wohnen.«
Sie sah mich verblüfft an und schüttelte langsam den Kopf. »Du warst schon immer für eine Überraschung gut.«
»Genau wie du. Ich wollte einfach vorbeikommen und mich entschuldigen, falls sich irgendwas zwischen uns gestellt haben sollte. Du warst mein bester Kumpel. Ich möchte den Kontakt zu dir nicht verlieren.« So, jetzt war es heraus. Ich hatte mich für etwas entschuldigt, das ich ihrer Meinung nach getan hatte.
Sie zog die Füße auf den Stuhl, sodass sie im Schneidersitz dasaß, und biss sich auf die Unterlippe. »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Das ist alles so seltsam.«
»Wie seltsam?«
»Dass du gegangen bist. Hast du von der Razzia gehört?«
»Der was?«
»Letzten Freitag. Da hat es im Club eine Razzia gegeben, überall war Polizei. Das war ein verdammter Albtraum. Bis zehn Uhr morgens durften wir nicht gehen. Ich war total erschöpft.«
»Mist! Haben sie irgendwas gefunden? Was ist passiert?«
»Ich weiß es nicht. Niemand erzählt mir mehr was. Am Samstagabend war der Club geschlossen – wir hatten den Abend frei, Norland hat uns dafür ein lächerliches Almosen gezahlt. Sonntag lief das Geschäft dann wie immer.«
Ich konnte nur an Dylan denken. Er hatte mich nicht angerufen, obwohl ich das eigentlich
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