Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
betraf; vielleicht erpresste sie ihn sogar, versprach ihm, endgültig aus seinem Leben zu verschwinden, wenn er ihr den Abschied »vergoldete«.
Ellen schaffte es nicht, einmal für längere Zeit mit ihm allein zu sein, um mit ihm zu reden, ihm zu versichern, dass er sich auf sie verlassen konnte. Violet hatte ständig ein Auge auf sie, beschäftigte sie mit irgendwelchen Arbeiten oder zwang sie, ihre Schulaufgaben zu machen. Und war sie ausnahmsweise einmal freundlich zu ihr, dann redete sie von nichts anderem als von den fabelhaften Chancen, die junge Mädchen in den Großstädten hätten, und dass nur ein Idiot in Cornwall bleiben wolle.
Albert verzichtete sogar auf seine gewohnte Sonntagsruhe. Im Oktober gab es alle Hände voll zu tun. Die Äcker mussten gepflügt, Schuppen und Scheunen vor dem Winter ausgebessert werden, doch das hatte ihn früher nie davon abgehalten, sonntagmorgens in die Kirche zu gehen und am Nachmittag sein Nickerchen zu machen. Jetzt werkelte er den ganzen Tag draußen herum. Ellen hätte am liebsten geweint. Sie wusste, wie viel sein Glaube ihm bedeutete, und sie fürchtete auch, er könnte krank werden, wenn er sich nicht ein bisschen mehr schonte.
Die Urlauber verschwanden, als die Blätter fielen und die Herbststürme übers Land fegten. Sich gegen den Wind stemmend, stieg Ellen den aufgeweichten Pfad zur Bushaltestelle an der Straße hinauf. Sie konnte sich nicht mehr über den Anblick eines in den Bäumen kletternden Eichhörnchens oder eines selteneren Fuchses oder Dachses freuen – ihre Gedanken kreisten unentwegt um ihre ausweglose Lage.
Pierre würde nicht zurückkommen. Sie hatte sich damit abgefunden, dass er nur ein flüchtiges Abenteuer gesucht hatte. Und sie war so dämlich gewesen, Sex mit Liebe zu verwechseln.
Alle ihre hochfliegenden Zukunftspläne, das College oder gar die Universität zu besuchen, hatten sich zerschlagen. Nächsten Mai würde sie ein Baby haben, ohne Ehemann und ohne Geld. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wie es weitergehen sollte.
Ende Oktober schickte Violet ihre Stieftochter ins Dorf, um ein paar Besorgungen zu machen. Früher hatte Ellen in den Ferien stets ihrem Vater geholfen, doch dieses Mal ließ Violet es nicht zu. Sie war unglaublich gerissen: Albert gegenüber spielte sie die Fürsorgliche. Er dürfe Ellen nicht zwingen, ihm zu helfen, tadelte sie ihn, schließlich müsse sie lernen. Dabei wollte sie damit nur erreichen, dass sie nicht miteinander allein waren.
Es regnete an diesem Nachmittag heftig, und es war kalt. Ellen wusste, die Einkäufe hätten genauso gut bis zum nächsten Tag warten können. Violet wollte sie nur schikanieren. Dennoch war sie froh, für ein paar Stunden von zu Hause wegzukommen. Josie benahm sich einfach ekelhaft, und Ellen hatte manchmal den Eindruck, dass das keineswegs nur gespielt war.
Sie nahm den Weg quer durch die Felder. Als sie zum Zaun am Dorfrand kam, entdeckte sie Mavis Peters, die ihren Hund ausführte. Sogar bei diesem Regenwetter sah sie elegant aus in ihrem cremefarbenen Regenmantel, dem passenden Hut und den glänzenden braunen Gummistiefeln.
Sie lächelte Ellen freundlich zu. »Hallo, Liebes. Das ist aber schön, dass ich dich treffe! Ich habe dich vermisst. Du hast dich lange nicht mehr bei uns sehen lassen. Aber du musst wahrscheinlich viel für die Schule tun, nicht wahr?«
Ellen nickte, doch in Wirklichkeit ließ Violet sie nirgendwo mehr hingehen. Mrs. Peters schien zu spüren, dass etwas nicht stimmte, und drängte sie, nach dem Einkaufen auf einen Sprung vorbeizukommen. Mrs. Peters’ Gesellschaft und ihr kleines Haus, in dem es so warm und gemütlich war, schienen es Ellen wert zu sein, sich Violets Zorn zuzuziehen, und sie sagte zu.
Die beiden Frauen waren allein. Als Ellen sich in einen Sessel am Kaminfeuer gesetzt hatte, fragte Mrs. Peters behutsam, wie es denn zu Hause gehe. Ellen, die sich danach sehnte, endlich jemandem ihr Herz auszuschütten, erzählte ihr von dem unerträglichen Zusammenleben mit Violet und Josie.
Einer der Gründe, weshalb sich Ellen bei Mr. und Mrs. Peters wohl fühlte, war, dass beide nicht zu den Alteingesessenen des Ortes gehörten. Klatsch interessierte sie nicht. Sie waren interessante, intelligente, belesene und weit gereiste Leute. Wenn sie abends zusammengesessen und genäht hatten, hatte Ellen sich mit Mrs. Peters über Politik, Religion, Kunst, Bücher und Musik unterhalten, und Ellen war über die modernen Ansichten der älteren Dame
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