Wer hat das Rind zur Sau gemacht?
Ursprünglich stammt die Lebensmittelampel aus Großbritannien. Jenseits des Kanals werden Nahrungsmittel in «gesund» (natürlich grün), in «Obacht!» (gelb) und «gefährlich!!» (rot) eingeteilt. Waren die Briten bisher den kulinarischen Tücken ihrer Küche hilflos ausgeliefert und stolperten von einer Kalorienfalle in die nächste, tappten von einem Fettnäpfchen ins andere, wissen die Verbraucher nun dank der Farbenspiele endlich, was wirklich gut für sie ist. Genutzt hat es offenbar nichts.
Einfach, logisch – und falsch
Auch hierzulande ist die Kundschaft mittlerweile ziemlich angefressen. Auf nichts ist mehr Verlass. Die vielzitierte Zutatenliste hat sich als Flop erwiesen – weil für den Verbraucher nicht wirklich durchschaubar. Regelmäßig werden die vollmundigen Versprechungen als Täuschung entlarvt – als Etikettenschwindel und Mogelpackung. Der Bürger will Klarheit über sein Essen. Aber wie? Er sucht einfache Antworten auf komplexe Fragen, schließlich hat er im Alltag genug andere Sorgen. Und als ganz besonders praktische Antwort erscheint die Ampel.
Doch für diese «Ampel» gilt das alte Bonmot: Es gibt für jedes komplizierte Problem eine Lösung, die ist einfach, logisch – und falsch. Denn weniger Kalorien in der Tüte bedeuten nicht gesündere Ernährung, sondern einfach nur mehr Hunger. Der Körper zählt mit und fordert die fehlende Energie erst mit freundlichem Appetit und dann mit zwingendem Hunger wieder ein. Da gibt es nix zu «sparen». 3 Würden Lightprodukte schlank machen, die in den USA in unglaublichen Mengen nach Hause geschleppt werden, dann würde eine erhebliche Zahl von Amerikanerinnen bereits als ätherische Wesen über die Great Plains schweben. Doch je mehr Kalorien sie vermeintlich sparen, desto heftiger zieht sie die Schwerkraft wieder auf den Boden der Tatsachen herab.
Die Ampel ist nur ein weiterer Versuch, die gescheiterten Konzepte der Ernährungsberatung am Leben zu erhalten. Butter, Fleisch, Mehl, Eier, Zucker und Salz – alles traditionelle, wertgebende und noch dazu häufig regionale Zutaten – mutieren in der Vorstellungswelt der Kundinnen heute zu Hüftgold, Cellulitis und vorzeitigem Tod im Pflegeheim. Alles das, was früher eine gute Küche ausgezeichnet hat, ist heute nur noch gut genug, um Ängste zu bedienen. Wie viele werden sich wohl von den roten Lämpchen ins Bockshorn jagen lassen? Und wie wenige gedenken der simplen Tatsache, dass Essen nicht schöner und jünger macht, sondern satt, leistungsfähig und zufrieden – was auch nicht zu verachten ist? Um gezielt zu sozial geächteten Produkten zu greifen, braucht es nicht nur gesunden Menschenverstand, sondern mittlerweile auch Zivilcourage.
Verwirrspiele
Um der Ampel zuvorzukommen, setzen die Hersteller auf eine bewährte Methode, die Verwirrtechnik: «Freiwillig» drucken sie allerlei Angaben zum Energie-, Salz oder Zuckergehalt auf die Verpackung. Dabei weisen sie ihre Daten als prozentualen Anteil an den Richtlinien für den täglichen Bedarf ( GDA -System – Guideline Daily Amount) aus, wobei «eine Portion» beliebiger Größe als Bezugsgröße gewählt wird. So kompliziert, wie es klingt, ist es auch. Als Matthias Horst, Professor für Lebensmittelrecht und Hauptgeschäftsführer des Spitzenverbandes der Lebensmittelindustrie ( BLL – Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde) vor laufender Kamera ausrechnen sollte, wie viel Zucker denn nun wirklich in einem Becherchen Kinderquarkschmiere drin ist, endete der Versuch mit einer herben Blamage. 4
Im Grunde muss man der Industrie für dieses durchsichtige Manöver dankbar sein. Wer mit den Verwirrspielen auf den Verpackungen nicht mehr zurechtkommt, lässt hoffentlich die Finger von dem Versuch, aus den Daten schlau zu werden. Ernährung nach Nährwerten hat leider eine fatale Wirkung auf Körper und Seele; vielfach ist sie der Einstieg in eine Essstörung. Der Körper ermittelt seinen Bedarf über die metabolischen Sinne, sprich «Bauchgefühl», und reguliert seinen Appetit über seine bisherigen Erfahrungen mit Speisen über die sogenannten somatischen Marker. Er interessiert sich dabei nicht für die von der herrschenden Denkart geprägten Vorstellungen von einer «gesunden Ernährung». Deshalb halten Speis und Trank Leib und Seele zusammen.
Verbindliche Empfehlungen zur Nährstoffzufuhr sind sinnlos. Selbst im Schweinestall mit seinen genetisch recht einheitlichen Ferkeln fallen die Mastergebnisse bei den
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