Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)
als sich die Schlafzimmertür schloss, stopfte ich mir die Schaumstoffohrstöpsel in die Ohren, die mir Jessica empfohlen hatte, damit ich mir keine Sexgeräusche anhören musste. Mindestens eine Stunde lang starrte ich an die Decke und lauschte meinem Herzschlag, der durch die Ohrenstöpsel irgendwie verstärkt schien, Surround Sound sozusagen. In nächster Zeit standen mir drei große Herausforderungen bevor, und obwohl ich meine Bewältigungsstrategien hatte – die, sich nur eine halbe Stunde am Tag Sorgen zu machen, und die, beängstigende Situationen in weniger beängstigende Einzelschritte zu zerlegen –, fiel es mir immer schwerer, den Dingen gelassen entgegenzusehen. Außerdem lag ich auf einem Sofa, das war nicht ganz so bequem. Ich blinzelte zur Uhr auf ihrem DVD -Player: 5 Uhr morgens. In ein paar Stunden würden sie aufstehen, und ich würde schlecht drauf sein, weil ich nicht ausgeschlafen war. Ich wollte doch kein unhöflicher Gast sein, oder? Ich drehte mich um und griff in meinen Rucksack, der an der Couch lehnte. Ich zog das Fläschchen heraus und redete mir ein, dass das nicht zählte, denn ich tat es ja für Josh und Mo-Mo, nicht für mich. Sie sollten nicht unter meinen Schlafproblemen zu leiden haben. Außerdem brauchte ich ja sowieso nicht viel. Nur ein halbes Milligramm. Das war doch so gut wie nichts.
Am nächsten Morgen wachte ich auf, als mir Mo-Mo eine Tasse frischen Kaffee reichte und mich fragte, ob ich gerne Pfannkuchen mitessen würde, sie hätte gerade welche gemacht. Ich war gerührt.
»Josh musste ganz schnell ins Büro«, erklärte sie, als wir uns an den Küchentisch setzten, »aber er kommt bald zurück, dann kann er dich noch zum Bus bringen.«
Während wir frühstückten, plauderten wir entspannt. Nur wir zwei – Joshs Vergangenheit und Joshs Zukunft. Ich staunte, wie natürlich es sich anfühlte und wie sympathisch ich sie fand. Von allen Herausforderungen war diese hier die persönlichste gewesen. Meine meisten Ängste drehten sich darum, dass ich etwas loslassen musste, was mich zurückhielt. Bei Josh hatte ich mich meiner Angst gestellt, eine Person loslassen zu müssen – oder vielmehr, meine Vorstellung von einer Person.
Als Josh mich zum Bus fuhr, kam Mo-Mo mit. Als ich so auf dem Rücksitz des Kombis saß, kam es mir vor, als wären die beiden meine Eltern. Sie umarmten mich zum Abschied, dann warf ich mir den Rucksack über eine Schulter und stellte mich in die Schlange am Bus. Kurz vorm Einsteigen drehte ich mich noch einmal um und sah, dass sie immer noch vor ihrem Auto standen und mir zuwinkten.
Ich bekam einen Fensterplatz und starrte die meiste Zeit nach draußen, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Ich hatte meine Beziehung mit meinem Perfektionismus sabotiert. Ich hatte nach Matts Fehlern gesucht und nach Anzeichen dafür, dass unsere Beziehung nicht funktionieren könnte. Dabei hatte ich seine guten Eigenschaften einfach als selbstverständlich hingenommen. Das war mir jetzt ganz klar.
Als ich nur noch eine Stunde Fahrtzeit hatte, kam eine SMS von Matt. »Jetzt bist du schon fast bei mir, Schatz!«, schrieb er. »Ich kann es kaum erwarten, dich zu sehen.«
Man hatte mich erst an die schrecklichen Streitereien mit Ben erinnern müssen, damit ich zu schätzen lernte, dass Matt und ich nicht stritten. Wenn ich daran dachte, wie distanziert Isaiah gewesen war, war ich dankbar, dass Matt so offen war. Er öffnete sich mir ganz frei und rückhaltlos. Er verbrachte Stunden damit, mich zu irgendwelchen Aktivitäten zu kutschieren, an denen er überhaupt kein persönliches Interesse hatte. In der Trapezschule hatte er meinen Auftritt auf Video aufgenommen und war diversen Leuten im Publikum auf die Füße gestiegen, als er nach dem besten Winkel suchte. Ich konnte gar nicht glauben, dass ich jemals an ihm gezweifelt hatte. Josh und ich hatten unsere guten Momente gehabt, aber unsere Beziehung hatte sich dann auch schnell totgelaufen. Die Leidenschaft war unbeständig gewesen. Bei Josh hatte ich oft das Gefühl gehabt, dass mir etwas fehlte. Matts Liebe war vielleicht nicht so augenfällig, aber dafür war er da, und zwar immer. Er war ein Brunnen, aus dem ich immer schöpfen konnte. Als ich mit Josh zusammen war, zeigte ich mein bestes Ich. Josh riss mich aus meiner Bequemlichkeit und zwang mich, Neues auszuprobieren. Doch das konnte ich auch allein schaffen. Ich musste es schaffen.
»Da ist ja mein Mädchen!«, rief Matt, als ich die Tür zu seiner Wohnung
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