Wetten, du küsst mich!
menschenleer, nur ab und zu fuhr ein Auto vorbei.
Das stürmische Wetter passte zu seiner Gemütslage, daher ließ Jack die Vorhänge offen. Er zog die Anzughose und das Oberhemd aus und schlüpfte in eine Jeans, ein T-Shirt und einen bequemen Pullover. Dann setzte er sich wieder an die Arbeit. Als er das zukünftige Budget für das Contessa kalkulieren wollte, fiel ihm auf, dass etwas fehlte. Offenbar hatte er es in Lauras Büro liegenlassen, als er am Nachmittag wütend herausgestürmt war. An Schlafen war jetzt ohnehin nicht zu denken, also nahm er den Fahrstuhl.
Den Schlüssel zum Bürotrakt schon in der Hand, bemerkte er, dass die Haupttür gar nicht abgeschlossen war. In Lauras Büro brannte noch Licht. Die Tür war nur angelehnt, und er konnte hören, wie sie mit jemandem sprach.
„Ja, das weiß ich“, sagte sie. „Das ist mir schon klar.“
Sie telefoniert, dachte er, und sein Magen zog sich zusammen, als er daran dachte, mit wem sie heute Nachmittag gesprochen hatte. Aber er beschloss, sich nicht schon wieder aufzuregen, schließlich wollte er ja nur eine Akte holen. Er stieß die Tür auf und ging zu seinem Schreibtisch.
Laura drehte sich erschrocken um. In diesem Moment zuckte ein Blitz vom Himmel und erhellte ihr Gesicht. Ihre Haut war blass. Den Lippenstift, den er mit seinem Kuss verschmiert hatte, hatte sie erneuert, ihr zerzaustes Haar wieder ordentlich gekämmt, aber sie sah unendlich müde aus.
„Ich glaube, ich gehe jetzt lieber nach Hause, Mutter“, sagte Laura. „Das Gewitter wird immer stärker, wer weiß, wie schlimm es noch wird.“
Jack ärgerte sich über seine Erleichterung, dass ihr Gesprächspartner nicht Peterson war. Er durchwühlte die Akten auf der Suche nach seinen Unterlagen.
„Ja, verstehe. Gib mir Bescheid, sobald du Näheres weißt.“
Mit der Umschuldung des Nachtclubs hatte es also noch nicht geklappt, mutmaßte er. Hieß das, dass Peterson Laura noch nicht finanziell unter die Arme gegriffen hatte? Selbst wenn sein Stiefbruder ihr eine derart große Summe nicht aus seinem eigenen Vermögen leihen konnte – seine Eltern hatten genug. Vielleicht mussten sie Aktien verkaufen oder ein Objekt beleihen, aber Edward und Nicole Peterson waren schwerreich und hatten Edwards Sohn noch nie einen Wunsch abgeschlagen. Leider galt das nicht für ihn, Nicoles Sohn. Nun ja, er war eigentlich schon lange nicht mehr Nicoles Sohn, sagte sich Jack. Für diese Frau war er eigentlich nur noch eine böse Erinnerung daran, dass sie einst mit einem Versager verheiratet gewesen war.
„Ja, klar doch, Mutter. Ja, ich hab dich auch lieb.“ Laura legte den Hörer auf. Nach einer kurzen Pause sagte sie: „Jack, wegen vorhin … das tut mir leid.“
„Machen Sie sich deswegen keinen Kopf“, sagte er. „Habe ich auch nicht.“ Demonstrativ gleichgültig wühlte er sich weiter durch die Akten.
„Dass Sie das nicht würden, war mir klar“, schoss sie zurück.
So aggressiv die Antwort auch geklungen hatte, in Lauras Stimme lag eine tiefe Erschöpfung. Jack sah sie an. Sie sah traurig aus, verwirrt und verwundbar. Gerade ihre Traurigkeit berührte etwas in seinem tiefsten Inneren, tiefer als er je jemandem zugestanden hatte. Dass Laura imstande war, Gefühle in ihm auszulösen – genau das nahm er ihr übel. Als er die Akte nicht gleich finden konnte, packte er einfach sämtliche Papiere ein. Er würde einfach alles mit in seine Suite nehmen und dort dann gründlich danach suchen, entschloss er sich. Wieder zuckte ein Blitz über den Himmel. Es donnerte. Die Beleuchtung begann zu flackern, und Jack sah nach oben. „Wie gut ist das Notstromaggregat?“
„Gut genug.“
„Wann ist es zum letzten Mal gewartet worden?“
„Kann ich Ihnen nicht auf den Tag genau sagen. Muss aber irgendwann im vergangenen Jahr gewesen sein, kurz bevor ich die Geschäftsführung übernommen habe.“ Sie schaltete ihren Computer ab. „Seit Langem hatten wir keinen größeren Sturm mehr.“
Er hatte die Unterlagen über das Hotel gut genug studiert, um zu wissen, dass weder der Hauptgenerator noch das Notstromaggregat besonders gut in Schuss waren. Eigentlich hätten sie längst ausgetauscht werden müssen. Ob sie bei einem großen Sturm wirklich verlässlich ihren Dienst tun würden, war zweifelhaft. Und dem letzten Donnerschlag nach zu urteilen, schien sich ein wirklich riesiges Unwetter zusammenzubrauen. „Schauen Sie mal nach draußen. Sie sollten vielleicht doch lieber nicht mehr nach Hause
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