Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung
und auch sonst nichts von diesem Mann. Ich wusste, da würde nichts Gutes bei rauskommen. Die ganze Sache verursachte mir Übelkeit im Magen.«
Carol überlegte, wo einem sonst noch übel sein konnte, als es erneut an der Tür klopfte. Sie war überrascht, als sie Bill Ryan auf der anderen Seite der Scheibe erkannte.
»Carol«, sagte er, als sie ihn hereinließ. »Ich habe diesen Bericht über Jim gelesen. Ich habe versucht, anzurufen, aber ich bin nicht durchgekommen, deswegen bin ich vorbeigekommen. Gibt es etwas, das ich tun kann?«
Ohne nachzudenken schlang Carol ihre Arme um ihn.
»Gott, ich bin so froh, dich zu sehen.«
Sie spürte, wie Bill erstarrte und ließ ihn hastig wieder los. Er war purpurrot angelaufen. Hatte sie ihn in Verlegenheit gebracht?
»Ein Priester?«, hörte sie Emma hinter sich.
»Hallo, Mrs Stevens«, sagte Bill mit heiserer Stimme. Er lächelte gewinnend, als er an Carol vorbeiging und ihr die Hand entgegenstreckte. »Erinnern Sie sich an mich? Ich bin Bill Ryan. Jim und ich waren auf der Highschool miteinander befreundet.«
»Ach ja. Ja. Der Kerl, der Priester werden wollte. Wie geht es Ihnen?«
»Ich mache mir Sorgen um Jim und diese Science-Fiction-Sachen, die da über ihn geschrieben werden.«
»Ja, ich weiß. Ist das nicht furchtbar? Warum fallen die so über Jim her? Meinen Sie, das ist der Neid, weil er so viel Geld geerbt hat?«
Carol fühlte, wie Bill den Blickkontakt mit ihr suchte. »Das ist doch Science-Fiction, oder? Carol, ist es das?«
Carol wusste nicht, was sie sagen sollte. Ihr fehlten die Worte. Sie wollte Bill und Emma alles erzählen. Sie wusste, Jim war auf ihre Unterstützung angewiesen. Aber sie konnten ihm nicht helfen, wenn sie die Wahrheit nicht kannten. Sie wandte ihre Augen ab.
»Mein Gott«, flüsterte Bill. »Das stimmt?«
Sie konnte es nicht bestreiten. Carol nickte.
Emma hatte die Hand vor den Mund geschlagen. »Wie kann das sein? Er war ein normaler Junge, genau wie die anderen Kinder auch.«
»Natürlich«, sagte Carol. »Genau das war er ja auch: ein normaler Junge. Und jetzt ist er ein ganz normaler Mann. Er hat einfach nur die gleichen Gene wie Hanley, das ist alles. Er ist wie ein eineiiger Zwilling von Hanley. Aber so sieht er das nicht. Er ist jetzt drüben in der Villa, grübelt vor sich hin und schüttet wahrscheinlich in großen Mengen Scotch in sich rein. Er denkt, er ist eine Missgeburt. Er hat sich selbst als ›Tumor‹ bezeichnet.«
Bill sah grimmig drein. »Du glaubst doch nicht, dass er etwas Dummes tun würde, oder?«
Carol nahm an, dass Bill mit ›etwas Dummes‹ Selbstmord meinte. Die Idee erschreckte sie. Sie hatte nie an diese Möglichkeit gedacht. Sie konnte es sich aber auch jetzt nicht vorstellen.
»Nein, das würde er niemals tun. Aber das hat ihn schon tief getroffen.«
»Warum fahren wir nicht zu ihm hin?«, schlug Bill vor. »Ich fahre.«
6.
Grace saß auf dem Rücksitz von Martins Ford Torino und versuchte, ihre widersprüchlichen Gedanken und Gefühle zu ordnen, während der Wagen über den Long Island Expressway nach Osten fuhr.
Jim Stevens – der Mann ihrer Nichte –, das sollte der Antichrist sein? Es schien zu lächerlich, um sich überhaupt mit dem Gedanken abzugeben. Trotz seiner atheistischen Sprüche und seiner religionsfeindlichen Haltung hatte Grace ihn immer als eigentlich anständigen Kerl gesehen. Vielleicht ging er nicht in die Kirche und glaubte noch nicht einmal an Gott, aber Jim hatte Carol immer gut behandelt. Wie konnte er da der Antichrist sein?
Und doch …
Was war mit dieser schrecklichen Furcht und Todesangst, die sie gefühlt hatte, als er das letzte Mal in ihrer Wohnung war? Und war es nicht noch in derselben Nacht gewesen, dass sie von der Anwesenheit Satans gesungen hatte, wo sie doch das ›Ave Maria‹ singen sollte?
Vielleicht war es doch nicht so weit hergeholt. Vielleicht hatte Satan gerade an diesem Tag Besitz von Jims seelenlosem Körper ergriffen und sie hatte es irgendwie gespürt.
Aber warum war sie in der Lage gewesen, das zu fühlen, wo Carol das doch offensichtlich nicht tat? War sie, wie Martin ihr immer wieder erklärt hatte, ein Teil des göttlichen Plans, den Antichrist zu bekämpfen? War ihre Zugehörigkeit zu den Auserwählten notwendig für ihr Seelenheil?
Sie flehte darum, dass ihr dies die Absolution für die schrecklichen Sünden bringen würde, die sie in der Vergangenheit begangen hatte. Das war der einzige Grund, warum sie sich bereit
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