Wie Blueten Am Fluss
Das Kind hatte von seinem Spielkameraden
Malcolm Fields von Hexen gehört und fürchtete nun, vor einer solchen zu stehen. Hastig stolperte er
um seinen Vater herum, verbarg sein Gesicht hinter dessen Wildlederhose und wünschte sich von
Herzen, die häßliche Frau mit der gemeinen Stimme würde endlich fortgehen.
Gage ließ beruhigend die Finger durch das Haar seines Sohnes gleiten, bevor er zu einer Antwort
ansetzte: »Ich kenne London sehr gut, Madam. Ich bin dort aufgewachsen und habe ganz in der Nähe
für meinen Vater Schiffe gebaut. Ich bin dort auf Adlige getroffen, die glaubten, mehr zu wissen als
der einfache Mann. Nun gut, in einigen Fällen traf dies zu, aber häufiger noch konnte ich spüren, daß
die Anschauungen dieser Leute ihren Ursprung in engstirnigen Vorurteilen hatten.«
Gertrude warf arrogant den Kopf in ihren speckigen Nacken. So einen ungehobelten Kerl mußte man
an seinen geziemenden Platz verweisen, und was wäre zu diesem Zweck besser geeignet als die
Herabwürdigung seiner Vorfahren. »Sie sagen, Ihr Vater sei Schiffs—
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bauer, Sir, aber ich frage mich, ob irgend jemand in England je von ihm gehört hat. Sie würden
schließlich nicht hier in dieser Siedlung am Ende der Welt leben, wenn Ihr Vater dermaßen erfolgreich
wäre. Wie ist denn sein Name?«
»William Medford Thornton«, antwortete Gage, der es vorzog, den Titel Lord wegzulassen.
Gertrude schüttelte den Kopf. Sie konnte sich an keinen Mann dieses Namens erinnern, erkannte
jedoch nicht, wie schmerzlich klein ihre eigene Welt war und um wieviel kleiner noch ihr
Freundeskreis. Mit hochnäsigem Stolz sprach sie eine weitere Mutmaßung aus. »Ich bin sicher, daß
Sie von meinem Vater gehört haben. Er ist in den besten Kreisen wohlbekannt. Fast jeder im
Schiffsbaugewerbe kennt J. Horace Turnbull.«
Gage hob belustigt die Augenbrauen. »J. Horace Turnbull, sagten Sie?«
»Dann haben Sie also von ihm gehört.«
»Oh, und ob!« Seine Antwort war nachdrücklich, wenn auch ein wenig rätselhaft.
Gertrude lächelte selbstgefällig, da es sie freute, in diesem Punkt recht zu behalten. »Anscheinend ist sein Ruhm selbst bis hierhin gedrungen. Aber erzählen Sie mir doch, Mr. Thornton, wie kommt es, daß Sie meinen Vater kennen?«
Eine dunkle Braue zuckte zweifelnd in die Höhe, bevor Gage ihr direkt in die Augen sah. »Ich bin
nicht sicher, ob ich Ihnen das erzählen sollte, Madam.«
»Oh, aber Sie müssen!« beharrte sie. »Etwas anderes würde ich nicht zulassen.«
Gage blickte auf Shemaine hinab, die dicht an ihn herangerückt war, als suche sie genau wie Andrew
unbewußt eine sichere Zuflucht. Seine Antwort würde wahrscheinlich die einzige Rache sein, die das
Mädchen jemals bekommen würde. Er drückte beruhigend ihre schmale Hand.
»Vor ungefähr zehn Jahren hat mein Vater mich ausgesandt, Ihren Vater zu finden, Madam«, sagte er,
nachdem er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Matrone gerichtet hatte. »Bevor mein Vater mich zu
dieser Mission aussandte, hatte J. Horace Turnbull
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von einem Schiff Besitz ergriffen, das er bei meinem Vater bestellt hatte. Er hatte eine Truhe mit
Münzen zur Bezahlung hinterlassen. Der Inhalt wurde sorgfältig gezählt, bevor der Vertrag besiegelt
wurde, aber nachdem Ihr Vater auf dem Schiff davongesegelt war, wurde die Truhe mit dem Geld zu
einer Londoner Bank gebracht. Als man sie dort öffnete, enthielt sie nur noch Musketenkugeln.
Irgendwann und irgendwo ist es Ihrem Vater gelungen, zwei Truhen mit genau gleichem Aussehen
gegeneinander zu vertauschen. Dies war eine List, die er, wie wir später erfuhren, mit Lendon Crocket
zusammen geplant hatte, einem der Männer, denen wir am meisten vertrauten.«
Als er an dieser Stelle kurz innehielt und Gertrude zornige Worte des Protests ausspie, bemerkte Gage, daß Kapitän Fitch diese Geschichte mit merkwürdiger Begeisterung aufnahm. Die gestotterten Versuche der Frau, ihn von der Unschuld ihres Vaters zu überzeugen, verebbten kläglich und Gage
sprach weiter. »Obwohl Turnbull Lendon Crocket versichert hatte, daß man die Leute in der Bank zur
Verantwortung ziehen werde und niemand je von der schweren Börse erfahren würde, mit der er sich
hatte bestechen lassen, schien sein eigentliches Ziel doch darin bestanden zu haben, die Schuld
unserem Mann in die Schuhe zu schieben. Mr. Crocket war klug genug, zu begreifen, daß man ihn
genarrt hatte. Er hat alles gestanden und auf diese Weise seine sehr lange
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