Wie Blueten Am Fluss
Verlegenheit rot anlief und sich aufblähte. Dann verabschiedete sich Morrisa mit derselben schwungvollen Geste von Gertrude, was die Nöte ihres Gemahls nur geringfügig linderte. »Na, dann wünsche ich Ihnen beiden noch einen
recht schönen Abend.«
Gertrude schnalzte nur angewidert mit der Zunge, während sie der aufgedonnerten Hure nachsah, die
gemächlich auf die Taverne zuschlenderte. Dann bedachte sie ihren Mann mit einem flammenden
Blick, obwohl dieser sich ganz auf eine unbedeutende Stelle in der gegenüberliegenden Richtung zu
konzentrieren schien. Nur die Tatsache, daß Gertrude ihn seit ihrer Abreise aus England niemals aus
den Augen gelassen hatte, ersparte Everette die lästige Pflicht, eine Menge wütender Fragen zu
beantworten. Er war an Bord der
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London Pride genausosehr ihr Gefangener gewesen wie die Sträflinge auch.
Gertrude, die abermals ihre Aufmerksamkeit auf die junge Frau in der Werkstatt des Schusters
richtete, furchte bitterböse die Stirn und drohte dem Mädchen mit einem dicken Finger, als tadele sie
ein ungezogenes Kind. »Du schmutzige kleine Irenschlampe, ich werde noch dafür sorgen, daß dir
diese Sache heute leid tut.«
Shemaine tat die gedämpft zu ihr herüberklingenden Drohungen mit einem Achselzucken ab und
wandte sich wieder ihrem Herrn zu. »Ich glaube, Sie haben die Frau absichtlich provoziert, Mr.
Thornton, und dafür könnte ich Sie küssen.«
Gage beugte sich mit einem breiten Grinsen ein klein wenig vor. »Wenn das ein Versprechen ist,
Shemaine, komme ich darauf zurück, sobald wir wieder zu Hause sind.«
»Nun, ich meinte nicht wirklich... Ich meinte, ich bin nur...« Abermals wurde Shemaine zu ihrem
Erstaunen klar, wie leicht der Siedler sie doch aus der Ruhe zu bringen vermochte, denn sie konnte
sich nicht daran erinnern, daß sie in Maurice' Gegenwart jemals so verwirrt gewesen war. Und dabei
war ihr Verlobter ein Marquis, um Himmels willen!
Als ihr mit einem Mal zu Bewußtsein kam, daß der Schuster sie erwartungsvoll ansah, machte
Shemaine Gage hilflos auf den Mann aufmerksam. »Sollten wir nicht langsam die Schuhe bestellen,
damit wir vor Einbruch der Dunkelheit wieder in Ihrer Hütte sind?«
Gage winkte den Mann mit einer knappen Geste heran. »Miles, ich habe hier ein Mädchen, dem ein
Paar Schuhe angepaßt werden müssen. Könnten Sie uns da behilflich sein?«
Der grauhaarige Mann kam sofort herbeigeeilt. »Aber klar doch, Gage.«
»Shemaine...« Gage stellte die beiden einander höflich vor. »Mr. Miles Becker. Miles, darf ich Ihnen
Mistress Shemaine O'Hearn vorstellen.«
Miles Becker neigte zum Gruß ein wenig ruckartig den Kopf. »Miles, wenn's recht ist, Miss O'Hearn«,
erwiderte er mit einem flüchtigen Lächeln. Dann bedeutete er ihr, auf einem Stuhl Platz zu nehmen,
setzte sich selbst auf einen Hocker vor ihr und zog einen
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der viel zu großen Schuhe von ihren Füßen. Einen Augenblick lang gab er sich dann der Bewunderung
ihres schlanken, bestrumpften Fußes hin, bevor er den Kopf hob und sich den grünsten Augen
gegenüberfand, die er je gesehen hatte. Eingefleischter Junggeselle, der er war, fand er es doch
erstaunlich, daß sein Puls plötzlich zu rasen begann, als er in diese blitzenden Augen schaute. Er wagte es nicht einmal, etwas zu sagen, während er ihren Fuß maß und seinen Umriß auf ein Stück Holz zeichnete. Dennoch konnte er die Wirkung, die sie auf ihn hatte, nicht vollends ignorieren. Sie war
ähnlich dem trunkenen Schwindelgefühl, wie man es nach einem Glas starken Weins erlebte, nach
dem es ihm im übrigen ganz überraschend verlangte.
Als Gage die Verwirrung des Schusters bemerkte, hob er indigniert die Augenbrauen, denn es war
nicht schwierig, den Grund für die Gefühle des anderen zu erraten. Es hat schon seine Nachteile, wenn
man sich allzu nahe an Shemaine O'Hearn heranwagt, wurde ihm auf einmal klar. Tatsächlich, wenn
sie selbst einen Junggesellen wie Miles Becker aus der Ruhe bringen konnte - und das mit nicht mehr
als einem unschuldigen Blick -, dann war kein Mann vor ihrer Schönheit und ihrem arglosen Charme
sicher, am wenigsten der, der stets in ihrer Nähe war.
»Welche Art Schuh wünschen Sie denn, Miss O'Hearn?« fragte Miles mit heiserer Stimme. Dann
räusperte er sich nervös und hoffte, daß sie seine Fassungslosigkeit nicht bemerkte.
»Etwas Praktisches«, antwortete Shemaine und staunte für einen flüchtigen Augenblick über sich
selbst. Vor gar nicht allzu
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