Wie der Vater so der Tod
es da noch Zach. Wie kann ich ihn einfach verlassen? Und Lauren … Wenn ich verschwinde, habe ich nie mehr Gelegenheit, mit ihr ins Reine zu kommen.
Wenigstens das Haus werde ich nicht vermissen. Es ist bestimmt gut, den Erinnerungen darin zu entkommen. Und wahrscheinlich werde ich auch Dad nicht vermissen. Denn der Vater, an den ich mich erinnern möchte, starb, als wir Philly verließen.
»Hast du irgendwelche Ideen für das Geschichtsprojekt?«
Projekt? »Was?«
»Der Schmutzige Krieg in Argentinien hat mich immer fasziniert.«
Ich habe keine Ahnung, wovon Alex redet.
»Du weißt schon, Argentinien Ende der Siebziger-, Anfang der Achtzigerjahre. Als die Regierung ihre eigenen Bürger entführte und sie für immer verschwanden? Wir haben im Spanischunterricht darüber gehört. Man nannte sie die Desaparecidos – die Verschwundenen.«
Die Verschwundenen. Wie ironisch. Meine Mutter ist verschwunden, und bald verschwinde ich ebenfalls. Aber nicht wie die Desaparecidos, hoffe ich. Mir ist ein bisschen elend. Alex mustert mich, den Kopf leicht zur Seite geneigt. Er wartet auf meine Antwort. »Entschuldige. Vielleicht sollten wir es mit einem anderen Thema versuchen.«
»Ja, kein Problem. Gibst du mir deine Telefonnummer?«
Ich muss überrascht aussehen, denn Alex fährt fort. »Für unsere Arbeit an dem Projekt.« Aber er lacht fast beim Wort »Projekt« und gibt mir zu verstehen, dass er über ganz was anderes spricht.
Ich hebe die Brauen. »Ja, gut. Für das Projekt .« Ich nenne ihm meine Nummer.
»Möchtest du meine?«, fragt er mit verschmitztem Lächeln.
»Ja.« Ich hole mein Handy hervor und gebe die Zahlen ein.
Zach erscheint in der Ferne, mit einer Papiertüte in der Hand und der Sonne auf den Schultern. Ich versuche, ihm so zuzuwinken, als wäre dies ein ganz normaler Tag beim Dairy Dream .
»Ich fasse es nicht … Du hast die ganze Zeit wegen Zach geweint?« Alex klingt enttäuscht.
»Nein, nicht unbedingt.« Aber es ist besser, wenn er daran glaubt, statt die Wahrheit zu erfahren.
»Hallo, Kumpel«, begrüßt mich Zach. Er hat Matts Kosenamen für mich übernommen. »Hab dir Tacos besorgt.« Er legt die Tüte auf den Tisch, setzt sich auf die andere Seite und nickt Alex freundlich zu. »Zwei weich, einer hart, mit Käse und Tomaten. Kein vergilbtes Salatblatt und keine Zwiebeln. Und ein Rootbeer.« Zach weiß von der Wusch -Sache.
»Du bist ein Schatz«, sage ich zu Zach. Ich beuge mich über den Tisch, umarme ihn und gebe ihm einen Kuss auf die Wange. Dann sehe ich ihn mir an: blondes Haar, das in alle Richtungen absteht, die weiche Kurve des Kinns, die funkelnden blauen Augen, ein Lächeln voller Anteilnahme. Er ist fast wie ein Bruder für mich.
Ich glaube, Alex bemerkt den Blick, den wir wechseln, einen Blick, der zu sagen scheint: Jetzt ist alles in Ordnung . Und es stimmt – so fühlt es sich an.
»He, gutes Spiel letzte Woche«, sagt Zach. »Viel Glück für Freitag.«
»Danke, Mann. Kommst du?«, fragt Alex.
»Nein, in dieser Woche schaffe ich’s nicht. Meine Mutter hat Geburtstag, und wir sehen uns ein Stück an. Sie ist ein bisschen wie Sara. Kein großer Sportfan.«
»Ja, Sara hat erwähnt, dass sie nicht gerade wild darauf ist, beim Spiel in der Kapelle zu sein.«
Zach schnaubt. »Das ist untertrieben. Hat sie erzählt, wie sie sich die Zeit zwischen den Liedern vertreibt?«
Alex schüttelt den Kopf. »Nein. Verrat’s mir.«
»Zach …« Ich beuge mich über den Tisch und versuche, ihm den Mund zuzuhalten, aber er entwindet sich mir. »Sie liest Soap Opera Digest auf der Tribüne.«
»Im Ernst? Nicht Stephen King?« Alex wölbt die Brauen.
»Ein Buch könnte ich unter der Uniform nicht verstecken.«
»Eigentlich wundert es mich, dass sie Magazine zu den Spielen mitbringt«, sagt Zach. »Weil sie sonst so pingelig darauf bedacht ist, dass sie nicht zerknittern. Einmal habe ich ein bisschen Limo darauf verschüttet, und daraufhin hat sie einen ganzen Monat lang nicht mit mir geredet.«
»Nur eine Woche«, sage ich. »Und es war die zehnte Jubiläumsausgabe von Winds of Change .«
»Muss ich noch mehr sagen?«, fährt Zach fort. »Übrigens bunkert sie alle Ausgaben der letzten zwanzig Jahre in ihrem Zimmer. Es grenzt an ein Wunder, dass sie dort noch Platz zum Schlafen hat.«
»Es sind die letzten fünf Jahre. Sie fallen überhaupt nicht auf und sind wohlgeordnet.« Das stimmt. Andernfalls hätte Dad sie längst weggeworfen. Schade, dass ich sie nicht mitnehmen
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