Wie die Welt endet: Roman (German Edition)
begeistert. » Aber verletze ich damit nicht das Copyright?«
Ich musste lachen und schüttelte den Kopf. » Disney wird Sie bestimmt nicht drankriegen, das verspreche ich Ihnen.« Ach, die guten alten Zeiten, als Medienkonzerne noch genug Zeit und Ressourcen gehabt hatten, um gegen Leute zu prozessieren, die ohne Lizenz ihre Produkte verwendeten.
Falls » der Niedergang«, wie die Medien die Entwicklung der vergangenen Jahre oft nannten, auch sein Gutes hatte, dann war es die Tatsache, dass das Amerika der Konzerne verschwand. In den guten alten Zeiten waren sie mit ihrem Einfluss allgegenwärtig gewesen, heutzutage mussten sie all ihre Energie und sämtliche Ressourcen darauf verwenden, ihre Waren herzustellen und sie in die Verkaufsregale zu befördern.
Hochzufrieden, weil ich wieder ein Produkt für den Mini-Markt beschafft hatte, ging ich nach Hause. Hätte ich auch nur ein kleines bisschen pfeifen können, dann hätte ich vielleicht gepfiffen.
Die Bull Street lag fast menschenleer in der Nachmittagshitze. Aus einem geöffneten Fenster im ersten Stock starrte eine alte Frau ohne Schneidezähne auf mich herunter. Misstrauisch verzog sie den Mund. Sie erinnerte mich an meine Großtante, die in ihren letzten zehn Lebensjahren geglaubt hatte, ich und alle anderen Verwandten versuchten, sie umzubringen.
Zwei Blocks weiter bog eine Frau auf die Bull Street ein und kam auf mich zu. Es war Deirdre.
Ich sprang in den Eingang eines verlassenen Ladens. Warum ich mich versteckte, konnte ich nicht sagen. Deirdre hatte immer noch die Fotos aus meiner Kinderzeit– vorausgesetzt, sie hatte sie nicht verbrannt. Ich hätte sie zur Rede stellen sollen, ihr vielleicht ein bisschen den Arm umdrehen sollen, um aus ihr herauszukriegen, wo die Fotos waren. Stattdessen gab ich mir größte Mühe, mich in die Spalte zwischen der Tür und dem mit Brettern vernagelten Ladenfenster zu drücken.
Was hatte Deirdre mit meinen Fotoalben gemacht? Immer noch lag ich nachts manchmal wach und grübelte darüber nach. Irgendwann hatte ich mir ein Herz gefasst und war, als sie nicht zu Hause war, mit meinem Schlüssel in ihre Wohnung eingedrungen. Aber kein Haufen zerschnippelter Fotos hatte mich empfangen, und in der Asche im Kamin hatten auch keine verkohlten Reste gelegen, keine Fetzen, auf denen noch ein Turnschuh oder ein geschmückter Zweig von einem Weihnachtsbaum zu erkennen gewesen wäre. Die Fotos waren spurlos verschwunden. Hatte Deirdre sie in den Müll geworfen? Oder doch behalten? Ich vermisste sie schmerzlich. Jetzt besaß ich keinen Beweis mehr, dass ich eine Vergangenheit hatte, dass ich einmal ein Kind gewesen war. Ich hätte nie gedacht, dass dieser Verlust mir so wehtun würde. Doch Deirdre war das offenbar klar gewesen.
Sie stolzierte vorbei, ohne meine geduckte Gestalt zu bemerken. Ich hatte keine Angst vor ihr, redete ich mir ein, ich wollte bloß nichts mehr mit ihr zu tun haben. Nachdem ich ein paar Minuten abgewartet hatte, setzte ich meinen Weg fort.
Zu Hause hingen Colin und Jeannie vor der Glotze und guckten Nachrichten. Die Fernbedienung hätten wir ruhig wegwerfen können– wir sahen doch immer nur MSNBC . In diesen finsteren Zeiten gab es immer neue Katastrophenmeldungen, immer kamen irgendwo Menschen grausam ums Leben. Ägypten rottete systematisch die Bevölkerung des restlichen Nordafrika aus. Warum? Weil die Leute essen wollten. Weniger Menschen hieß weniger Konkurrenz um Nahrungsmittel und Energie, und Ägypten besaß eben die schlagkräftigsten Waffen. Hier in den USA war es schon schlimm genug, aber andere Teile der Welt verwandelten sich allmählich in ungeheure Konzentrationslager und Schlachtfelder. Es war gleichzeitig faszinierend und bedrückend.
Ich holte tief Luft und wandte mich vom Fernsehgerät ab. Eigentlich wäre ich gern schlafen gegangen, aber Colin und Jeannie saßen beim Fernsehen auf meinem Bett. Also setzte ich mich in ihr Zimmer, um ein bisschen Buchhaltung für den Mini-Markt zu erledigen.
» Cortez ist ein Naturtalent, das muss ich ja sagen«, sagte Ange. » Er ist zum Beispiel an einem Verkaufstisch mit irgendwelchen Pistolen stehen geblieben, dann hat er sich plötzlich umgedreht, einen Kerl in teurem Anzug angerempelt und ihn an der Schulter gefasst, wie um sich abzustützen. Der Mann ist bei dem Stich nicht mal zusammengezuckt. Cortez hat den Leuten einfach auf den Rücken geklopft, sogar bei ein paar Polizisten und Soldaten hat er das hingekriegt.«
Hechelnd und
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