Wiedersehen in Stormy Meadows
Maler ist. Aber die Fotos hättest du mal sehen müssen, Nattie. Nicht besonders groß, vielleicht DIN A5, alle drei nebeneinander aufgehängt, unter einem Titel: Verzweiflung .«
Sie hält inne und holt Luft. »Die haben mich so berührt, Nattie, dass ich weinen musste. Mir kommen jetzt schon wieder die Tränen, beim bloßen Gedanken daran.« Sie fächelt sich Luft zu.
»Zwei der Bilder waren nicht von ihm: eins von einem Kind in einem Konzentrationslager und eins von einem kleinen Vietcongjungen während des Vietnamkrieges. Das dritte hatte er selbst gemacht: ein kleines, vor dem Genozid in Afrika gerettetes Mädchen. Von allen drei Kindern sah man nur die Gesichter und wie sie ins Leere starren. Diese Augen, Nattie. Die werde ich nie vergessen.«
Sie schweigt und beißt sich auf die Lippe.
»Ich wusste zu dem Zeitpunkt gar nicht, dass er auch etwas anderes tat als malen. Für diese drei Bilder wurde er aber für den Turner-Preis nominiert. Er hat die Londoner Kunstszene im Sturm erobert – und ist dann einfach von der Bildfläche verschwunden. Als habe er noch ein letztes Statement machen wollen. Seither hat ihn niemand mehr gesehen. Hin und wieder tauchen in irgendwelchen Galerien Gemälde von ihm auf, die dann im Handumdrehen für Unsummen verkauft werden, aber er zeigt sich nirgends mehr öffentlich.«
Petra besieht sich noch einmal das kleine Gemälde von Rob und mir.
»Mannomann, Natalie, du bist stolze Besitzerin eines echten Connor Blythe. Damit reihst du dich zwischen der Saatchi-Galerie und der Tate Modern ein. Das ist bestimmt mindestens vier- bis fünftausend Pfund wert.«
»Wie bitte?«
»Ja, ich weiß, für dich ist es in erster Linie von ideellem Wert.« Lächelnd stellt sie das Bild auf den Nachttisch.
Ich schnappe es mir und lege es wieder in die Schublade.
Petra zieht sich die Hose aus und setzt sich in ihrer roten Spitzenunterwäsche aufs Bett. Sie schüttelt ihre rote Lockenmähne und fragt: »Stellst du mich ihm mal vor?«
»Das wird sich gar nicht vermeiden lassen, wenn du ein paar Tage hierbleibst.«
»Ob er wohl einem Interview mit mir zustimmen würde?«
»Also, wenn er sich hierher verkrümelt hat, weil er das Rampenlicht scheut, dann möchte ich das doch bezweifeln.«
»Ach, wenn man berühmt ist, sagt sich das so leicht, dass man seine Ruhe haben will, aber wenn man so gar keine Aufmerksamkeit mehr bekommt, fehlt einem das doch bestimmt irgendwann. Mag ja sein, dass es ihm damals alles zu viel wurde, aber jetzt hat er ja etwas Zeit für sich gehabt, vielleicht hat er jetzt gar nichts dagegen, mal wieder in den Medien zu sein?«
»Was ist das denn für eine obskure Logik, Petra? Menschen, die gerne im Rampenlicht stehen, flirten mit dem Rampenlicht. Connor hält sich fern.«
»Aber einen Versuch wäre es doch wert! Und vor allem wäre das eine saftige Gehaltserhöhung wert! Ein Interview mit Connor Blythe wäre ein echter Coup! Vielleicht mache ich das auch ganz unabhängig von Naked und verkaufe es dann meistbietend an eine andere Zeitschrift …«
»Du bist verrückt, Pet. Wenn Elaine das herausfindet, fliegst du achtkantig raus.«
»Ich kann nirgendwo rausfliegen, ich bin freie Mitarbeiterin. Und der Aufsichtsrat würde ihr was erzählen. Schließlich bin ich ihr bestes Pferd im Stall.« Sie grinst reichlich unbescheiden. »Ohne mich würden die untergehen.«
»Danke!«
»Du doch nicht, Süße! Du würdest auch ohne Naked überleben. Also? Was sagst du?«
»Wozu? Zu einem Leben ohne Naked? «, frage ich unschuldig.
»Nein. Zu meinem Interview mit Connor Blythe.« Sie sagt das, als handele es sich dabei um eine Tatsache.
Ich zucke die Achseln. »Wieso fragst du mich? Da musst du ihn schon selbst fragen.«
»Und fragen kostet ja bekanntlich nichts, stimmt’s? Das Schlimmste, was mir passieren kann, ist, dass er Nein sagt.«
»Wahrscheinlich.«
Um halb acht fährt ein Taxi vor, um uns abzuholen. Mächtig aufgebrezelt und irgendwie aufgekratzt quetschen wir uns hinein. Es ist Ewigkeiten her, seit ich zuletzt einen richtigen Weiberabend hatte. Petra hat mich sogar überredet, ein Kleid anzuziehen. Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich zuletzt einen Rock oder ein Kleid getragen habe.
»Wo fahren wir hin?«, fragt Cas die wortkarge Laura.
»Wir gehen essen.«
»Und wo?«
»Das wirst du schon noch früh genug mitkriegen.«
Wir fahren an Trenrethen vorbei und folgen dann der Küstenstraße hinunter zum Ship.
»Wir gehen im Pub essen?«, frage ich verwirrt.
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