Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
das schneller und über weitere Entfernungen hinweg.
Das Problem war lediglich, dass die kleinen Drachen nicht über die gleichen Veranlagungen verfügten wie Brieftauben. Man konnte sie zwar so dressieren, dass sie zwischen zwei Punkten einer Stadt verkehren konnten, doch sobald die Distanz größer war, verirrten sie sich oder entwischten gleich ganz. Die Lösung bestand darin, sich den Mutterinstinkt der Weibchen zu Nutze zu machen, denn dieser Instinkt führte sie immer wieder zu ihren Eiern zurück, wie kompliziert oder lang die Strecke auch sein mochte. Gaget begriff, dass er die Weibchen nur direkt nach dem Eierlegen deplatzieren musste, denn zu ihrem Gelege kehrten sie unfehlbar zurück, sobald man sie frei ließ. Man konnte die Eier bei Bedarf auch durch ein Scheingelege ersetzen, zu dem sie ebenso starke Bande knüpften. Dann musste man nur noch die Weibchen immer wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurücktransportieren.
Der Züchter führte den Handel mit erlesenen Dragunen weiter, konnte aber gleichzeitig seiner neuen Geschäftsidee nachgehen, und das sogar mit vom König verliehenem Vorrecht. Dies garantierte ihm ein Monopol in ganz Paris und den umliegenden Bezirken. Seine Nachrichtenvermittlung florierte schnell und rückte die Hauptstadt näher an Amiens, Reims, Rouen und Orléans heran. Über Relaisstationen konnten Nachrichten aus Paris mit Hilfe dieser Drachenpost nun sogar in weit entfernte Städte wie Lilles, Rennes oder Dijon transportiert werden.
Gaget war ein vornehmer Mann, beaufsichtigte das Abladen der Lieferung aber dennoch immer höchstpersönlich. Die Tiere wurden in ein Gebäude gebracht, wo sie sich einige Tage von den Strapazen der Reise erholen und an die neue Umgebung gewöhnen konnten. Alle waren durch eine strenge Auslese selektiert und für den Verkauf bestimmt, jedes
Tier ein kleines Vermögen wert. Man musste sie sehr pfleglich behandeln und immer darauf achten, dass sie sich nicht verletzten.
Zufrieden überließ Gaget die Reptilien schließlich der Obhut des Pflegers und kehrte in seine Arbeitsstube zurück, wo bereits eine Menge Schreibarbeit auf ihn wartete. Er legte Mantel und Stiefel ab und wurde sich gerade gewahr, dass er das Haus ohne Hut verlassen hatte, da bemerkte er, dass sich noch jemand im Raum befand, obwohl er niemanden erwartet hatte. Er erschrak, und sein Herz begann laut zu klopfen. Doch als er sah, um wen es sich bei dem überraschenden Besucher handelte, stieß er einen erleichterten Seufzer aus. Er hatte schnell lernen müssen, dass das königliche Privileg mit der einen oder anderen Gefälligkeit einherging. Das Privileg verdankte er dem Kardinal, und man schlug seinem Wohltäter natürlich nichts ab, besonders nicht, wenn dieser einem Vertrauen schenkte. So transportierte der ›Nachrichtendienst Gaget‹ immer wieder auch Geheimdokumente.
Und vieles mehr.
»Ich wollte Euch nicht erschrecken«, sagte Saint-Lucq.
Er saß in einem Sessel, den Hut tief ins Gesicht gezogen, und hatte die überkreuzten Beinen bequem auf das Fensterbrett gelegt.
»Ihr … Ihr habt mich nur überrascht«, erklärte Gaget. »Wie seid Ihr hier hereingekommen?«
»Ist das von Bedeutung?«
Nachdem sich Gaget schnell wieder gefasst hatte, schloss er die Tür ab und zog die Vorhänge zu. »Seit drei Tagen warte ich nun schon auf Euer Kommen«, sagte er vorwurfsvoll.
»Ich weiß«, entgegnete das Mischblut und schob sich den
Filzhut aus der Stirn. Dann begann er lässig, seine Augengläser mit dem Ärmel zu polieren. Die Reptilienaugen leuchteten im Dunkeln.
»Der Graf von Rochefort hat mich aufgesucht«, berichtete der Züchter.
»Was wollte er?«
»Neuigkeiten. Und Euch wissen lassen, dass man sich über den Stand der Dinge Sorgen macht.«
»Das ist nicht nötig.«
»Werdet Ihr denn Erfolg haben, bevor es zu spät ist?«
Saint-Lucq setzte seine Brille wieder auf und schwieg kurz, um seiner Antwort noch mehr Gewicht zu verleihen. »Ich wüsste nicht, dass überhaupt eine andere Möglichkeit besteht …« Dann erkundigte er sich: »Wann werdet Ihr Rochefort wiedersehen?«
»Wohl schon heute Abend.«
»Dann sagt ihm doch bitte, dass die Angelegenheit, die ihm solche Sorgen bereitet, erledigt ist.«
»Schon?«
Saint-Lucq erhob sich, zog sein Wams gerade und rückte den Waffengurt zurecht. Im Gehen drehte er sich noch einmal um und sagte: »Fügt noch hinzu, dass das Papier in meinem Besitz ist und dass ich nur darauf warte zu erfahren, wem ich es überbringen
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