Wild wie das Meer (German Edition)
schenkte ihr ein kleines Lächeln. „Ich werde nach Askeaton zurückkehren, ich war schon zu lange fort. Aber du bist jetzt in guten Händen, dessen bin ich mir sicher. Alle lieben dich, Virginia. Du bist uns wirklich eine Schwester geworden.“
Virginia wurde es vor Freude ganz warm ums Herz. „Ich mag deine Familie sehr, Sean. Ich habe wirklich das Gefühl, hierher zu gehören.“
„Das tust du auch“, sagte er. „Und du weißt, dass du dich immer an einen von uns wenden kannst, wenn dir etwas Sorgen bereitet.
„Ja, ich weiß“, erwiderte sie dankbar.
Er zögerte. „Du und Eleanor, ihr seid Freundinnen geworden. Das freut mich. Sie ist noch so jung ...“ Er verstummte.
„Sie ist wie eine Schwester für mich“, sagte Virginia mit weicher Stimme. „Und jedes Mal, wenn du mich anschaust, beobachtet sie uns argwöhnisch.“
Sean machte ein überraschtes Gesicht. „Was? Das glaube ich nicht.“ Dann küsste er sie auf die Wange. „Versprich mir, dass du nicht zögerst, dich an mich zu wenden, wenn du Hilfe brauchst. Du hast nun eine Familie, und keinem von uns mangelt es an Mut, Treue oder Entschlusskraft.“
„Ich glaube nicht, dass ich die De-Warenne-Kavallerie rufen muss“, neckte sie ihn mit einem Lächeln.
Er lachte befreit auf.
Und da wusste Virginia, dass die Wunde in seinem Herzen verheilt war, und das stimmte sie glücklich.
26. KAPITEL
1. Januar 1813
Liebe Virginia,
das neue Jahr ist angebrochen, und ich hoffe, dass du gesund und frohen Mutes bist. Wie geht es dir in Waverly Hall? Ich nehme an, dass du dich inzwischen sehr gut mit meiner Mutter verstehst, und ich hoffe, dass du nicht zögern wirst, sie um einen Gefallen zu bitten. Ich hoffe auch, dass meine Brüder dir mit ihren Eigenarten nicht zu sehr zugesetzt haben. Wie ist der Winter? Auf dem Atlantik herrscht klirrende Kälte, aber das war abzusehen. Wir nähern uns jetzt der Küste von New Jersey und sind bislang bloß in kleinere Scharmützel verwickelt worden. Wir hinderten ein amerikanisches Handelsschiff am Auslaufen, die „Southern Belle“, brachten indes ein französisches Freibeuterschiff auf, das ich nach Neufundland bringen lasse. Die Mannschaft ist bester Laune, doch gelegentlich kommt Langeweile auf, da keiner meiner Matrosen an das Nichtstun gewöhnt ist. Alle sind weiterhin erpicht darauf, den Feind zu stellen. Ich habe einen neuen Schiffsarzt. Er heißt Paul White und ist ein Gentleman, den du gewiss gebildet und unterhaltsam fändest, wenn du ihn eines Tages kennenlernen solltest. Er spielt Geige. Er hat sein Instrument sogar mit an Bord genommen und sorgt in der Mannschaft für gute Unterhaltung.
Bitte richte meiner Familie Grüße aus. Ich wünsche dir ein glückliches neues Jahr.
Stets der deine,
Devlin O’Neill
V irginia erhielt Devlins Brief am fünften Februar. Sie war so aufgeregt, dass sie in ihr Zimmer stürmte, um dort das versiegelte Schreiben aufzureißen. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust, als sie die Zeilen überflog, und dann las sie den Brief noch einmal langsamer. Sie wünschte, er hätte ihr geschrieben, dass er sie vermisse und es nicht abwarten könne, nach Hause zurückzukehren. Aber Devlin hatte sich immer schon schwergetan, über seine Gefühle zu sprechen. Warum sollte er es dann in einem Brief tun, den er auf hoher See unter großer Anspannung geschrieben hatte?
Mit einem Seufzer gab Virginia sich mit dem Inhalt zufrieden. Sie war froh, dass er sich überhaupt die Zeit genommen hatte, ihr zu schreiben, und den Brief aufgegeben hatte. Zudem hatte er ihr mehrere Fragen gestellt und erwartete daher gewiss eine Antwort.
Sogleich nahm sie Papier und Feder zur Hand und schrieb ihm einen langen Brief, in dem sie alles schilderte, was seit seiner Abreise geschehen war. Sie betonte, wie wohl sie sich im Kreise seiner Familie fühlte, sprach jedoch nicht von der Sehnsucht, die sie jeden Tag quälte.
Virginia wusste, dass Wochen vergehen würden, ehe sie eine Antwort erhielt – das hatte man ihr zumindest bei der Navy gesagt –, aber schon in der dritten Märzwoche war sie enttäuscht, noch nichts von Devlin gehört zu haben. In zwei Tagen war ihr Geburtstag. Sie wünschte sich, Devlin könnte den Tag zusammen mit ihr verbringen.
„Lass den Mut nicht sinken“, sagte Mary und legte den Arm um sie. Es war ein grau verhangener, windiger Tag, und die Fensterläden rappelten. „Du wirst wieder von ihm hören, da habe ich keine Zweifel.“
Virginia lächelte ihre Schwiegermutter an.
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