Wilde Rose der Prärie
beobachtete weiter seinen Bruder.
Allein schon um Rafe zu ärgern, zog Holt einen Stuhl zurück und nahm gegenüber von Lorelei Platz. „Bei der nächsten Runde bin ich mit dabei", erklärte er. Lorelei hielt ihre Karten so hoch, dass ihre untere Gesichtshälfte weitestgehend verdeckt war, dennoch konnte er sehen, wie ihre Wangen sich rosig färbten. Sie sah ihn zwar nicht an, doch er vermutete, es kostete sie einige Mühe, seinem Blick auszuweichen. Nachdem sie sich ein wenig geziert hatte - lag es an ihrem schlechten Blatt oder daran, dass er mitmachen wollte? -, warf sie einen Vierteldollar in die Mitte. War sie verrückt geworden? Ihre Karten waren keinen Cent wert! Der Captain überlegte lange hin und her, ordnete seine Karten neu, dachte wieder nach, kratzte sich am Kopf - und schließlich stieß er einen tiefen Seufzer aus und warf sein Blatt hin.
„Bluff!", jubelte Lorelei und kassierte den Pot ein.
„Nicht so schnell", meinte der Captain höflich. „Bei uns hier ist es üblich, dass man seine Karten zeigt, Miss Lorelei."
Sie legte ein klägliches Sammelsurium auf den Tisch, das nicht einmal ein Paar Zweier zu bieten hatte. Ihre Augen leuchteten trotzig und triumphierend, als sie Holt ansah.
„Verdammt", gab der Captain von sich.
„Ja, machen Sie nur weiter so und nehmen Sie mir auch noch mein letztes Geld ab", sagte Rafe zu Lorelei, schaute dabei aber zu Holt. Sein Ausdruck war dabei alles andere als brüderlich.
„Sie geben." Der Captain schob Holt die Karten zu.
Der nahm sie, bildete zwei Stapel, die er jeweils an einer Ecke anhob und dann ineinander mischte.
Mit großen Augen sah Lorelei ihm dabei zu, dann kniff sie sie ein wenig zusammen. „Nennen Sie Ihr Spiel, Miss Fellows", forderte er sie auf. Sie stutzte. „Mein Spiel?"
Mit ausholenden Bewegungen mischte Holt weiter und bekam die Karten so geschickt wie immer zu fassen.
„,Five Card Stud'", antwortete Rafe an ihrer Stelle und setzte sich neben Lorelei. Holt legte dem Captain den Kartenstapel hin. „Teilen", sagte er. „Er spielt falsch", beklagte sich Lorelei zwei Stunden später im Flüsterton, als sie in ihrem Zimmer war und ihr Nachthemd überzog.
Melina las im Schein einer Petroleumlampe in einer alten Tageszeitung und sah verdutzt auf. Tillie und das Baby schliefen bereits fest. „Wer?"
„Natürlich Holt McKettrick", platzte Lorelei heraus.
„Ich nehme an, du hast verloren", stellte Melina fest und lächelte flüchtig.
„Verloren? Ich wurde ausgenommen!"
Jetzt musste Melina lachen.
„Das ist nicht witzig!" Lorelei schlug die Bettdecke um. „Der Mann ist ein Betrüger. Hast du dir schon mal angesehen, wie er Karten mischt? Ich schwöre dir, er gibt die untersten Karten."
„Nicht Holt", widersprach Melina überzeugt. „Wieso nicht?", wollte sie wissen.
„Er gewinnt viel zu gern. Falschspielen würde ihm den Spaß verderben." Lorelei ließ sich aufs Bett fallen und zog die Decke bis zum Kinn hoch, obwohl es eine heiße Augustnacht war und sie die Decke vermutlich wegtreten würde, noch bevor sie eingeschlafen war.
„Es hat ihm aber Spaß gemacht, mir mein Geld abzunehmen."
„Und dir hätte es keinen Spaß gemacht, ihm sein Geld abzunehmen?"
Lorelei setzte sich auf. Hätten Tillie und das Baby nicht im Bett nebenan geschlafen, dann wäre Melina im nächsten Moment von Loreleis Kopfkissen getroffen worden.
„Auf wessen Seite stehst du eigentlich?"
„Wenn ich mich zwischen dir und Holt entscheiden muss, bin ich mir nicht so sicher", antwortete Melina klugerweise. „Ich sehe mir das gern an, wenn ihr beide aufeinander losgeht."
Lorelei murmelte eine erstickte Beschimpfung.
„So ist das auch bei Gabe und mir", fuhr Melina leise fort. „So lieben wir uns, wenn wir nicht allein sein können."
„Das ist ja lächerlich", zischte Lorelei und legte sich wieder hin. Plötzlich jedoch wollte sie nur noch weinen und das nicht nur, weil ihr Melina so leidtat. „Du bist in Holt McKettrick verliebt", erklärte Melina, faltete die Zeitung zusammen und drehte den Docht der Lampe nach unten, bis die Flamme flackerte und erlosch. „Ich bin nicht in diesen Mann verliebt!"
Sie hatte Michael geliebt, und sie hatte versucht, Creighton zu lieben, um es ihrem Vater recht zu machen. Michael hatte ihr nie einen Grund geliefert, sich über ihn zu ärgern, genauso war es bei Creighton gewesen - bis zu dem Tag, an dem sie ihn heiraten sollte. Da war ihr Temperament mit ihr durchgegangen, und falls sich unter ihre Wut
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