Wilder Engel (German Edition)
darf auch nicht vergessen, dass es auf Teneriffa jährlich Hunderttausende von Touristen gibt. Eingeflogen aus sämtlichen zentraleuropäischen Ländern. Und neuerdings auch aus dem gesamten Ostblock. Die wollen alle was erleben, die sind fast alle auf der Pirsch, lassen es krachen. Alles potentielle Kunden. Solange auf Teneriffa ganzjährig dieses wunderbare Klima herrscht, fehlt sich nix, rein gar nix! Der Markt kann gar ned zusammenbrechen. Nicht auf Teneriffa.«
An dieser Stelle warf Angie nun, schon um zu zeigen, dass sie auch dieses Prinzip verstanden hatte, rasch ein:
»Das stimmt. Und wie Sie eben so schön gesagt haben, ›g’schnackselt‹ wird immer. Trotzdem sind die Kondom-Verkaufszahlen weltweit wieder rückläufig, Antonia. Das können Sie mitunter sogar in den Wirtschaftsteilen seriöser Tageszeitungen nachlesen. Die Menschen vergessen schnell und werden dann prompt wieder leichtsinnig. Ich will gar nicht behaupten, dass ich das gut finde, es ist einfach eine traurige Tatsache.«
»Sechzigtausend«, sagte Antonia. »Oder ich behalte die Automaten selber.«
Anschließend legte sie einfach auf. Die leibhaftige, derzeit noch amtierende Queen des Kondom-Direktvertriebes hatte gesprochen.
Punkt.
17
A ngie schwirrte der Kopf nach dem anstrengenden Telefonat.
Sie fand, dass es hiermit an der Zeit war, sich von den Strapazen dieses Tages zu erholen und vor allem sich selbst zu belohnen. Immerhin machte sie das, was sie hier tat, aus rein altruistischen Motiven. Nämlich, um Mama Ingeborg geschäftlich auf die eigenen Füße zu helfen.
Aber wo blieb sie selbst in dem Spiel?
Nicht einmal zu einem wirklich ausgiebigen Shoppingtrip hatte es bisher gereicht. Sie besaß lediglich das Allernotwendigste an Kleidung, vor allem jedoch mangelte es ihr an passendem Schuhwerk.
Angie war barfuß von der Wolke geplumpst, und die hochhackigen Sandalen zum Abendkleid eigneten sich weniger, um damit tagsüber über einen Sandstrand zu stöckeln.
Sie beschloss, erst einmal ein ausgiebiges Sonnenbad zu nehmen, die Sandalen würden sie auf dem Asphalt zur Strandpromenade bringen müssen und von da ab lustig an Angies Handgelenk baumeln. An den Riemchen zusammengebunden wie einst bei den Hippie-Mädchen.
Hinterher würde sie sich dann ganz entspannt ein mindestens ebenso ausgiebiges Schuh-Shopping gönnen.
Wenigstens drei Paar mussten es schon sein, möglicherweise sogar vier. Ihr war nämlich gerade eine weitere Idee gekommen. Was, wenn sie Allister morgen früh vorschlüge, sie in die Berge mitzunehmen? Um sie in die Welt der natürlichen Fraktale einzuführen … Wenn sie in unpassendem Schuhwerk im Sugar-Café auftauchte, würde er ihre Bitte unter Garantie ablehnen!
Nach diesem Ausflug in die Berge würde sie dann aber wirklich abreisen! Nur diesen einen Ausflug wollte sie vorher noch gerne mitnehmen.
Angie holte den superknappen Bikini aus ihrem Reisegepäck, der bis jetzt tatsächlich noch kein einziges Mal zum Einsatz gekommen war. Rasch schlüpfte sie hinein und zog darüber lediglich ihre neue rote Jeans an.
Wenn schon Hippie-Mädchen, dann aber auch richtig.
Aufgerollte Hosenbeine, dazu ein superknappes Bikinioberteil, eine Hibiskusblüte aus Julia Gonzales’ Garten als einzigen Schmuck im langen, offenen, blonden Haar.
Die hochhackigen Sandaletten an den Füßen mochten vielleicht einen Stilbruch darstellen, aber dafür waren sie sexy wie die Hölle. Und zauberten einen hinreißenden Wiegeschritt herbei. So richtig schön aus den Hüften heraus.
Angie musterte sich kritisch im Wandspiegel.
Doch, sie sah toll aus. Aber irgendwie fühlte sie sich auch merkwürdig fremd in dem Aufzug. Sie war nicht richtig daheim in diesem Körper, so jung und knackig und attraktiv er auch wirkte.
Es war immerhin Angela Engels Erscheinungsbild, das ihr aus dem Spiegel heraus in die Augen blickte. Daran musste es wohl liegen, dass sie sich nicht völlig damit identifizieren konnte. Der blonde Vamp im Spiegel warihr nicht vertraut. Sie bemerkte das heute zum ersten Mal seit ihrer Ankunft, vorher war sie viel zu beschäftigt gewesen, um groß darüber nachzudenken.
Einen Moment lang fragte sich Angie ernsthaft, wie ihre Seele wohl in ihrem eigenen letzten Erdenleben verpackt gewesen sein mochte.
Sie konzentrierte sich einen Moment, kehrte dabei den Blick nach innen und suchte dort nach verschütteten Erinnerungen. Leider kam nichts, so sehr sie sich auch bemühte. Dieser Bereich der Festplatte war offensichtlich
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