Will Trent 02 - Entsetzen
den beiden den Gang hinunter. Keiner der drei sagte etwas, bis sie außer Hörweite waren.
Will versuchte, sich nicht völlig entmannt zu fühlen, als er die beiden so sah - das Kind, das nicht am Erwachsenentisch sitzen durfte. Wie um der Sache noch die Krone aufzusetzen, fiel ihm auf, dass er direkt vor der Tür der Damentoilette stand. Will zwang sich dazu, wegzuschauen, und lehnte sich mit der Schulter an die Wand. Bevor er sich umdrehte, bemerkte er, dass Paul seine übliche Eröffnungstaktik benutzte - er hielt Amanda den Finger vors Gesicht. Noch aus fast sieben Metern Entfernung spürte Will die Spannung, die dieser großspurige Auftritt erzeugte. Es gab einfach Leute auf der Welt, die immer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen mussten. Paul war ihr König.
Abigail sagte: »So schlecht ist er auch wieder nicht.«
Will hob die Augenbrauen, und bei dieser Geste pochte seine Nase. Er erkannte, dass er mit dem Selbstmitleid aufhören und stattdessen die Gelegenheit ergreifen sollte, mit Abigail Campano zu sprechen, die er zum ersten Mal allein vor sich hatte.
»Ich habe gestern einige entsetzliche Sachen zu ihm gesagt. Heute. Heute Morgen.« Sie lächelte schwach. »Im Bad. In der Auffahrt. Im Auto.«
»Sie stehen unter einem enormen Druck.«
»Ich war noch nie ein Mensch, der austeilt«, sagte sie, obwohl ihr Verhalten gestern in der Garagenwohnung auf Will ziemlich natürlich gewirkt hatte. »Kann sein, dass ich früher einmal so war. Vor einiger Zeit. Und jetzt kommt alles zu mir zurück.«
Was sie sagte, klang nicht sehr sinnvoll, aber Will zog es vor, mit ihr zu reden, anstatt die Ohren anzustrengen, um das Gespräch zwischen den Erwachsenen mitzubekommen. »Sie müssen einfach tun, was Sie tun können, um durchzuhalten. Die Pressekonferenz wird nicht lange dauern, und Amanda wird die Sache übernehmen.«
»Warum bin ich hier?« Ihre Frage war so direkt, dass Will keine Antwort darauf fand. Sie fuhr fort: »Ich darf keine Bitte aussprechen. Sie lassen mich nicht um die wohlbehaltene Rückkehr meiner Tochter bitten. Warum?«
Er sagte ihr nicht, dass, falls ein Sadist ihre Tochter hatte und nun Abigails Schmerz sah, ihn das vielleicht dazu inspirieren könnte, kreativer mit seinem Opfer umzuspringen. Und auch ohne diesen Aspekt bewies Abigail, sooft sie den Mund aufmachte, dass sie unberechenbar war.
Er sagte der Frau eine sanftere Version der Wahrheit. »Es ist einfacher, Amanda das Reden zu überlassen.«
»Damit sie mich nicht nach der Tötung von Adam fragen können?«
»Unter anderem.«
»Werden sie sich nicht wundern, warum ich nicht zu Hause bin und auf den zweiten Anruf warte?«
Er nahm an, dass sie mehr für sich als für die Presseleute sprach. »Das ist eine sehr angespannte Zeit - nicht nur für uns, sondern auch für denjenigen, der Emma hat. Es ist nötig, dass die Presse ihre Rhetorik etwas herunterfährt. Wir können es nicht gebrauchen, dass sie mit irgendeiner wilden Geschichte hausieren geht, Hinweise erfindet und irgendwelchen verrückten Theorien nachjagt, während wir über Emmas Freilassung verhandeln.«
Sie nickte langsam. »Wie wird es da drin sein? Vor all diesen Kameras?«
Eine Quälerei, dachte Will, doch er sagte: »Ich werde im Saal ganz hinten stehen. Schauen Sie einfach nur mich an, okay?« Sie nickte, und er fuhr fort: »Es wird ein Blitzlichtgewitter geben, und viele Leute werden Fragen stellen. Schauen Sie nur mich an und ignorieren Sie sie. Ich rage irgendwie ziemlich aus der Menge heraus.«
Sie lachte nicht über den Witz. Er sah, dass sie ihre Handtasche an den Bauch drückte. Es war eine kleine, die man, soweit Will wusste, eine Unterarmtasche nannte. Will hatte ihren Wandschrank gesehen, einen spektakulär ausgestatteten Raum, der größer war als seine Küche. Es gab Abendkleider und Designer-Label und sexy Highheels, aber nichts in ihrer Garderobe sah nach Understatement aus. Er fragte sich, ob sie die Sachen, die sie heute trug, extra für den Anlass gekauft oder von einer Freundin geborgt hatte.
Als könnte sie seine Gedanken lesen, fragte sie: »Entspreche ich der Rolle der trauernden Mörderin?«
Will hatte heute Morgen gehört, dass die Medien sie so nannten. Die Reporter badeten in der Geschichte über die wilde Mutter, die ihre Tochter beschützte. Die Ironie war zu gut, um sie sich entgehen zu lassen. »Sie sollten nicht fernsehen. Zumindest nicht, bis das alles vorbei ist.«
Sie öffnete ihre Handtasche. Er sah darin einen Lippenstift,
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