Willkommen im Wahnsinn: Roman (German Edition)
das meinen Stuhl näher zu ihm rückt.
Der Kellner huscht heran, entfernt die leeren Teller, und Randy grinst ihn verschwörerisch an.
»Bitte die Rechnung, Kumpel. Und würden Sie uns ein Taxi rufen? Hier habe ich eine junge Dame, die es gar nicht erwarten kann, nach Hause zu kommen. Wenn Sie verstehen, was ich meine...«
»Gewiss, Sir«, stimmt der Kellner zu. Eines seiner Lider bebt fast unmerklich. Ein Zwinkern – oder vielleicht auch nicht.
Als ich ins Taxi steige, erscheint ein Fotograf – nur einer –, ohne jeden Zweifel von Camilla informiert. Vom Blitzlicht geblendet, sehe ich nicht, wie Randy neben mir auf dem Rücksitz landet. Erwartungsgemäß verschwendet er keine Zeit und umarmt mich, was pflichteifrig aus mehreren Blickwinkeln geknipst wird, bevor wir in die Nacht brausen.
Sobald wir aus dem Blickfeld des Fotografen geraten sind, lässt Randy mich los und beginnt mit dem Taxifahrer
eine Diskussion über Fußball. Obwohl seine Hand besitzergreifend auf meinem Bein liegt und er geistesabwesend mit seinem Daumen die Innenseite meines Schenkels streichelt, entsteht der Eindruck, ich wäre gar nicht mehr da. Nachdem er den Fahrer bezahlt und mit einem extravaganten Trinkgeld beglückt hat, führt er mich die Stufen zu seinem Haus hinauf. Dort nimmt er mein Gesicht in beide Hände und hebt es an.
Hinter mir höre ich den Taximotor im Leerlauf surren. Offenbar wartet der Fahrer, bis wir ins Haus gehen. Randy neigt sich vor und küsst mich sanft auf die Lippen. Mit einem Arm umfängt er mich, mit der anderen Hand öffnet er die Tür. Da heult der Motor auf, das Taxi fährt davon.
Randys Arm fällt von meiner Schulter hinab, und wir betreten die dunkle Eingangshalle. Nur der orangegelbe Widerschein der Straßenlampen erhellt den Raum. Eine Zeit lang stehen wir reglos da. Dann schaltet er abrupt die Deckenleuchte ein. Während ich ins grelle Licht blinzle, stapft er die Treppe hinauf, ohne einen einzigen Blick zurückzuwerfen.
Im oberen Stockwerk fällt eine Tür ins Schloss. Um alles in der Welt, worauf habe ich mich bloß eingelassen?
9
In den nächsten paar Wochen verstreichen die Mittwoche ohne dramatische Zwischenfälle, nachdem ich Lulu eingeredet habe, dass ein Kurs für Aktzeichnen gut zu meinem Entschluss passen würde, etwas Neues auszuprobieren. Außerdem – jetzt habe ich einen Freund, nicht wahr? Enthusiastisch stimmte sie zu. Vermutlich glaubte sie, ich würde über meiner Staffelei feurige Blicke mit einem knackigen jungen Deckhengst wechseln. Und vielleicht würde das nach dem Unterricht zu einem leidenschaftlichen Gefummel im Schrank für die Zeichenutensilien führen.
Bitter enttäuscht wird sie meine Skizze von dem rundlichen Rentner mustern, der auf einem Stuhl posiert, um die Schüler künstlerisch zu inspirieren. Unser Modell besitzt zwar keinen Waschbrettbauch, aber ich finde es seltsam befriedigend, eine Stunde lang die weichen Linien seines vom Leben geprägten Körpers aufs Papier zu bringen. Gelassen schaut der Mann aus dem Fenster, als wäre es völlig normal, splitternackt vor fünfzehn Fremden zu sitzen, und scheint seinen Gedanken nachzuhängen. Nur das kratzende Geräusch der Holzkohle auf Papier ist zu hören, hin und wieder auch das leise Murmeln des Lehrers, der von einem Kursteilnehmer zum anderen schlendert.
Um die Hände des Rentners zu zeichnen, nehme ich mir besonders viel Zeit – die Adern, die aus den Handrücken ragen, den abgebrochenen Daumennagel, die gespreizten Finger. Der Lehrer lobt die Aufmerksamkeit, die ich solchen Details widme. Natürlich gebe ich nicht zu, dass ich nur so genau darauf achte, um mich von den schlaffen alten Genitalien abzulenken. Die habe ich in vagem impressionistischem Stil dargestellt. Am Ende des Unterrichts sitzen wir alle eine Weile beisammen und trinken mit George, unserem Modell, Tee. Dabei trägt er einen eleganten gesteppten Morgenmantel, wie ein stattlicher Hugh Hefner.
Nach dem Tee, und nachdem jeder die Skizzen der anderen bewundert hat (nicht nur ich habe eine realistische Wiedergabe der Region zwischen Georges Beinen vermieden), packe ich meine Sachen zusammen und breche auf, um die Nacht mit Randy zu verbringen. So wie in den letzten drei Wochen.
Manchmal holt er mich von der Arbeit ab, und wir fahren gemeinsam im Bus 168 zur Belsize Park Station. Nicht ganz der Fortbewegungsstil, den man von einem Star erwartet. Aber: »Im Taxi gibt’s kein Publikum, Babe«, betont Randy und schwelgt in der
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