Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
Vom Netzwerk:
öffnete er die Tür des Schuppens. Muffiger Geruch schlug ihm entgegen. Es war dunkel, und langsam tastete er mit der Hand nach einem Lichtschalter, fand jedoch keinen.
    Er glaubte, noch einen Geruch wahrzunehmen, der irgendwo tief unter dem Moder im Schuppen lag – den Geruch von Lysol, von krankenhausreiner Sauberkeit.
    Ein Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Durch die Türöffnung fiel etwas Licht in den Raum, aber in seinem Gesichtsfeld befanden sich lediglich einige Kisten.
    Wieder das Geräusch – aber diesmal hinter ihm! Kendrick fuhr herum, doch da schlug etwas mit fürchterlicher Gewalt gegen seinen Hinterkopf, und sein Denken setzte aus.
     
    Er sah Bilder – ein roter Leuchtimpuls, der horizontal anstieg und abfiel, eine Zackenlinie auf einem Bildschirm. Er hörte ein gleichförmiges Pressen von Luft, wie aus einem Blasebalg. Und er roch … Lysol.
    Dann reduzierten sich diese Eindrücke zu einem gewaltigen Brummen in seinem Schädel, als befände sich ein Bienenschwarm darin. Stöhnend betastete er seinen Kopf. Man hatte gute Arbeit geleistet – Blut benetzte seine Finger.
    Er schüttelte sich, doch der Schmerz blieb.
    Jemand hatte ihn in einen Hinterhalt gelockt. Aber wer? Und warum hatte man ihn nicht beseitigt wie alle anderen Einwohner der Stadt?
    Taumelnd erhob er sich. Einen Augenblick lang dachte er an eine der wenigen Krimiserien im Fernsehen, die er gelegentlich verfolgt hatte: dort hatte sich der hartgesottene Held nach einem Niederschlag mit einem Revolverknauf lässig erhoben, ein Blendax-Lächeln gezeigt, sich den wohlfeilen Zwirn glattgestrichen und war wieder frisch ans Werk gegangen.
    Die Wirklichkeit sah etwas anders aus. Seine kraftlosen Finger glitten an der Scheunentür ab. Erst beim zweiten Versuch gelang es ihm, sie zu öffnen.
    Heller Sonnenschein schlug ihm entgegen, und: Verkehrslärm, Hundegekläff, das Geschrei spielender Kinder. Überall lästige Tauben. Menschen, die sich unterhielten und umhergingen. Die ganze Stadt brodelte vor Leben.
    »Was ist los, junger Mann? Wie sehen Sie überhaupt aus?« Eine ältere Frau musterte ihn mißtrauisch und griff instinktiv fester nach dem Knauf ihres Regenschirms, den sie in der Hand trug. Wohl auch der Konsum zahlloser Krimis, dachte Kendrick resignierend. Und: diese alte Dame hätte wahrscheinlich ein Auto kurzschließen können, was ihm nicht gelungen war.
    »Haben Sie zuviel getrunken?« sagte die Frau. »Aber so sehen Sie mir gar nicht aus. Hat man Sie überfallen? Niedergeschlagen? Beraubt?«
    Kendrick versuchte, die Belastbarkeit seines Schädels mit einem Nicken auf die Probe zu stellen. »Überfall …«, krächzte er.
    »Mein Gott, das ist ja furchtbar«, entsetzte sich die Frau. »Und das hier in Pine County! In San Francisco, ja, aber hier … Sie bluten ja! Sie müssen ins Krankenhaus! So können Sie doch nicht …«
    »Schon gut«, unterbrach Kendrick ihren Redeschwall. »Sagen Sie mir nur … was für einen Tag haben wir heute?«
    »Geht es Ihnen wirklich gut?« Das Gesicht der alten Dame war ein einziges Fragezeichen.
    »Natürlich. Aber was für einen Tag haben wir?«
    »Mittwoch. Sollten Sie nicht doch lieber …«
    »Danke. Wirklich, mir geht es gut.« Und das war auch nicht einmal gelogen: er fühlte sich schon wieder sicherer auf den Füßen.
    Mittwoch, dachte er. In der Tat, Montagabend war er zurückgekommen. Er hatte also nicht geträumt – in seiner Erinnerung fehlte ein Tag.
    »Warten Sie bitte!« rief er der davoneilenden Frau nach, der es allmählich doch zu unheimlich zu werden schien. »Einen Augenblick nur!«
    Die Frau drehte sich um. Mißtrauen lag in ihrem Blick. »Junger Mann, allmählich müßten Sie sich schon schlüssig werden, was Sie wollen.«
    »Nur eine Frage noch. Was haben Sie gestern gemacht?«
    Sie stierte ihn an, als hätte er ihr einen unsittlichen Antrag unterbreitet. »Was ich gestern gemacht habe?« entgegnete sie spitz. »Wie soll ich das verstehen?«
    Kendrick bekam den Eindruck, daß er noch eine einzige dumme Frage stellen mußte, und sie würde die Polizei rufen. Dennoch drängte er weiter. »Es ist wichtig. Bitte!«
    »Ich weiß zwar nicht, was Sie mit dieser Frage bezwecken, aber … gestern war ein ganz normaler Tag. Ein Tag wie jeder andere.«
    »Sie waren also in der Stadt?« fragte Kendrick hastig. Er mußte endlich Gewißheit haben.
    »Aber sicher.«
    »Und es ist nichts … Außergewöhnliches passiert?«
    »Nein. Hm … Vielleicht doch …«
    »Was?« fragte er

Weitere Kostenlose Bücher