Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
Vom Netzwerk:
kein Fenster, nicht einmal ein Stück buntes Glas, das Tageslicht einließ, und das war merkwürdig. Und doch verlieh es dem Raum eine private, zurückgezogene Atmosphäre der Sicherheit, die von dem draußen vorüberziehenden Tag nicht berührt wurde und sie einlullte. Die Wirkung trat augenblicklich ein – sie fühlte sich matt, und ihr Herz klopfte wieder im gewohnten Rhythmus. Dr. Spitzvogel ging durchs Zimmer und öffnete einen Schrank in der Ecke, und während sie seine Bewegungen verfolgte, sprangen ihr die Gemälde oberhalb der Täfelung ins Auge. Es waren überwiegend ländliche Szenen – tiefhängender Himmel, Schafe in Pferchen, Nymphen, Faune, schwebende Cherubinen, Feen, die mit den Schatten der Bäume verschmolzen –, und sie verstärkten das Flair der Irrealität, das dem Zimmer anhaftete. Unbegreiflicherweise ging ihr der Begriff »Serail« durch den Kopf. Und was tat sie hier?
    »Bitte«, sagte Dr. Spitzvogel. Er stand jetzt vor ihr – der Glanz seines Haars und Schnurrbarts im Kerzenschein gedämpft – und hielt ihr ein gespenstisch weißes Seidenhemd hin. »Kleiden Sie sich aus und schlüpfen Sie hier hinein – dort ist die Garderobe. Und dann legen Sie sich bitte auf den Tisch und entspannen Sie sich, träumen Sie, denken Sie nur an angenehme Dinge.« Er lächelte – zwinkerte er ihr wieder zu, oder war das eine Täuschung des Lichts? –, und dann war er an der Tür. »Ich bin gleich wieder da, und dann fangen wir an, ja?«
    Sie zog sich hastig um aus Angst, daß er zurückkäme, bevor sie fertig wäre, und sie kam sich etwas albern vor, weil sie keine Unterbekleidung angezogen hatte – sie hätte ein eisernes Korsett tragen können, und niemand hätte es bemerkt. Das Hemd, das ihr der Doktor gegeben hatte, war auf den Seiten offen, und sie spürte es auf der nackten Haut, wie sie die Bluse gespürt hatte, eine Fläche purer Empfindungen. Sie streckte sich auf dem gepolsterten Tisch aus, legte den Kopf auf das Kissen, schloß die Augen und wartete. Es hatte keinen Sinn. Sie war zu angespannt. Wie wäre es? Was würde er tun? Sie konzentrierte sich darauf, ihre Muskeln zu entspannen, einen nach dem anderen, zuerst die Zehen und dann immer weiter aufwärts. Als sie bei den Hüften angelangt war, war sie dank der Hitze, des Dufts und all dieser schmachtenden, ewig badenden Nymphen an den Wänden so entspannt, daß sie seine Anwesenheit neben sich erst bemerkte, als sie seine Hände auf ihrem Bauch spürte.
    Seine Hände lagen einfach nur da – ohne sich zu bewegen, ohne zu drücken, ohne zu massieren –, und sie waren glühendheiß, genau wie Virginia gesagt hatte. Eleanor ließ die Augen geschlossen, bemühte sich, still und ruhig liegenzubleiben. Eine Ewigkeit schlich vorbei. Nichts geschah. Aber dann, wie durch Zauberei, waren seine Hände zu ihren Brüsten gewandert, zu ihren Brustwarzen, sie waren wie glatte, im Feuer erhitzte Flußkiesel, und seine Finger bewegten sich kaum merklich.
    Später, viel später, so viel später, daß sie nicht mehr wußte, ob sie in diesem Zimmer seit Stunden, Tagen oder Wochen lag – ob sie hier geboren war, ob sie durch die Polsterung schmolz, durch den Tisch, den Boden –, wurde sie sich seiner Berührung an einer Stelle bewußt, an der sie nie zuvor berührt worden war. So köstlich, so behutsam, so exquisit in ihrer Geduld und ihrer großen sondierenden Weisheit war diese Berührung, daß es ihr unmöglich gewesen wäre, sie sich auszudenken oder vorzustellen. Ihr zu widerstehen kam nicht in Frage. Sie versank darin, träumte von den Waldlichtungen, den Männern und Frauen, die gemeinsam Luftsprünge über bayerische Wiesen machten, so nackt, wie Gott sie erschaffen hatte, und sie spürte, daß auch sie sich bewegte, ihre Hüften rieben ein ganz klein wenig gegen die Lederpolsterung, glitten nach vorn und nach unten und dieser sicheren, bestimmten, garantiert therapeutischen Berührung entgegen.

4.
STRENGE KONTROLLE UND ANDERES
    Eleanor aß nicht. Jetzt, da sie mehr oder weniger immer an Wills Tisch saß, hatte er Gelegenheit, sie bei den Mahlzeiten zu beobachten, und es beunruhigte ihn, daß sie kaum mehr tat, als mit der Gabel auf dem Teller herumzustochern, als wäre sie eine Malerin, die Farbe mischt. Sie hatte abgenommen, und auch das beunruhigte ihn. Ihre Backenknochen, die immer schon prägnant gewesen waren, zeichneten sich jetzt noch deutlicher ab, so daß ihre Augen noch tiefer in den Höhlen zu liegen schienen, und das Fleisch zog

Weitere Kostenlose Bücher