Wind über den Schären: Liebesgeschichten aus Schweden (German Edition)
nicht, dass es nach vielen Lügen auf eine mehr oder weniger nicht ankam. Jede zusätzliche Lüge wog noch schwerer als die davor, und wenn sie hierblieb, musste sie entweder die Wahrheit sagen und damit Menschen schaden, die ihr lieb geworden waren, oder sie musste weiter und immer weiter lügen. Valerie wusste, dass sie mit keiner dieser Alternativen leben konnte.
»Ich geh hier nicht weg!«, stieß Lasse hervor. Seine Stimme klang wütend und verzweifelt zugleich. Valerie blutete das Herz beim Anblick ihres Sohnes.
»Du kannst dir ja eine andere Arbeit in Boxenberg suchen«, verlangte er.
»Ich werde mir auch eine andere Arbeit suchen«, sagte Valerie. »Aber nicht hier.«
»Das kannst du mir nicht antun, Mama!«, schrie Lasse sie an.
Valerie fühlte sich schrecklich hilflos, aber sie konnte ihm nicht das sagen, was er gerne hören wollte.
Lasse schaute sie mit Tränen in den Augen an und rannte schließlich davon. Valerie rief laut den Namen ihres Jungen, aber er kam nicht zurück.
Valerie überlegte kurz, ihm nachzulaufen, aber vermutlich war es besser, ihn jetzt erst einmal in Ruhe zu lassen. Später, wenn er zurückkam, würde sie noch einmal versuchen, mit ihm zu reden.
Irma saß auf der Treppe, die zum Haus führte, neben einem der vielen Blumentröge und schnitt verwelkte Blütenköpfe aus einer Margerite. Sie bemerkte kaum, dass sie dabei auch einige der gerade erst erblühten Köpfe abtrennte. Normalerweise konnte sie bei der Gartenarbeit völlig abschalten. Heute allerdings schweiften ihre Gedanken immer wieder ab. Auch wenn Olaf ihr versprochen hatte, alles wieder in Ordnung zu bringen, zweifelte sie daran.
Sie hatte recht gehabt mit ihren Bedenken wegen Valerie. Sie hatte zwar zuerst Olof in Verdacht gehabt, aber jetzt war es Markus – und das war beinahe genauso schlimm.
Als Irma an ihre Tochter dachte, kamen ihr die Tränen.
Plötzlich stand Lasse vor ihr.
Irma zuckte erschrocken zusammen und wischte sich mit dem Handrücken über die Wangen.
»Hej, Frau Wilander.« Lasse schaute sie schüchtern an.
»Hej, Lasse.« Irma lächelte ihn freundlich an. Er konnte schließlich nichts dafür, dass seine Mutter die Ehe ihrer Tochter durcheinanderbrachte. Ganz bestimmt wusste er nicht einmal, dass seine Mutter ein Verhältnis hatte.
»Ich müsste mal mit Olof sprechen«, sagte Lasse schüchtern. »Ist er da?«
»Tut mir leid, er ist in der Brauerei«, sagte Irma.
Lasse seufzte auf. »Okay, dann gehe ich dahin.«
Irma hielt ihn auf. »Was hast du denn Wichtiges mit ihm zu besprechen?«
Lasse zögerte kurz, setzte sich dann aber neben sie auf die Treppenstufe. »Ich wollte ihm sagen, dass ich nicht mehr zum Reiten komme. Wir fahren zurück nach Stockholm.«
Es war eine seltsame Mischung an Gefühlen, die sie bei dieser Nachricht erfassten. Da war Erleichterung, weil Valerie von hier wegging und zwischen Leonie und Markus alles wieder so werden konnte wie früher. Da war Hochachtung vor Valerie, auch wenn sie es eigentlich nicht wollte. Aber es gehörte schon einiges dazu, den Mann zu verlassen, in den man sich verliebt hatte.
Aber Irma empfand im Moment vor allem Mitleid für Lasse, den sie ins Herz geschlossen hatte. »Du willst nicht weg?«
Lasse schüttelte den Kopf. »Ich bin gern hier, viel lieber als in der Großstadt. Ich habe keine Ahnung, warum Mama nicht hierbleiben will. Sie hat doch gesagt, dass es ihr hier gefällt. Sie war richtig glücklich in letzter Zeit«, stieß er traurig hervor.
Irma empfand das dringende Bedürfnis, Lasse zu trösten. Diesen Jungen, den sie so gerne als Enkelkind gehabt hätte und der so gerne in Boxenberg leben würde. Ein Junge, dessen Mutter ihren Schwiegersohn liebte, während ihre eigene Tochter durch die Weltgeschichte gondelte und damit ihre Ehe gefährdete. Irma seufzte. Manchmal fand das Schicksal seltsame Wege.
Sie legte einen Arm um Lasses Schultern und spürte beglückt, wie er sich vertrauensvoll an sie lehnte.
»Deine Mutter ist eine kluge Frau«, sagte Irma liebevoll. »Sie wird wissen, was das Beste für euch ist.«
»Es wäre das Beste, wir würden hierbleiben«, entgegnete Lasse trotzig. »Weil wir nämlich richtig gut hierherpassen!«
Es war seltsam, aber im Grunde empfand Irma es ähnlich. Schon beim ersten Kennenlernen hatte sie trotz ihrer anfänglichen Bedenken das Gefühl gehabt, dass Valerie und Lasse sehr gut nach Boxenberg passten. Was so ganz und gar nicht passte, das waren die Umstände.
Olof hatte ungeduldig auf
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