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Wintergeister

Wintergeister

Titel: Wintergeister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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lautlosen Ort verlassen zu haben. Keine Vögel waren zu hören, keine Kaninchen oder Füchse bewegten sich im Unterholz. Ich vergrößerte meine Schritte, ging schneller, immer schneller bergab. Mehrmals trat ich einen Stein los und hörte ihn in das Halbdunkel weiter unten rollen. Mehr und mehr meinte ich, hinter jedem Baum eigenartige Formen zu sehen, Umrisse, Augen in dem dunklen Wald, die mich beobachteten. Eine ungebetene und beharrliche Stimme in meinem Ohr begann die Frage zu stellen, ob es vielleicht mehr als nur das Unwetter war, das die Menschen fernhielt.
    Im tiefsten Innern des Waldes war das Licht nahezu verschwunden. Nebelschwaden trieben zwischen den Bäumen, glitten durch hohle Stämme und Mulden, wie ein Raubtier auf der Suche nach Beute. Die Stille war absolut und undurchdringlich.
    Dann hörte ich das Knacken eines Zweiges unter einem Fuß. Ich blieb wie angewurzelt stehen und spitzte die Ohren. Wieder ein Geräusch, ein Knirschen von Steinen und Blättern. Da bewegte sich etwas durchs Unterholz. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Ich wusste, dass es in den Pyrenäen Wildschweine gab, aber was war mit Bären oder Wölfen?
    Ich schaute mich nach irgendwas um, womit ich mich verteidigen könnte, doch dann zwang ich mich zur Vernunft. Als ob ich mich gegen irgendein Raubtier verteidigen oder auch nur hoffen könnte, es in die Flucht zu schlagen. Sollte ich tatsächlich das Pech haben, auf ein wildes Tier zu stoßen, wäre meine einzige Hoffnung die, völlig ruhig zu bleiben und zu beten, dass es mich nicht witterte. Falls doch, blieb mir nur noch die Flucht.
    Wieder knackte laut ein Zweig, diesmal näher. Aufgeschreckt ließ ich den Blick schweifen und hielt nach einem Baum Ausschau, auf den ich klettern konnte, aber ich sah keinen, dessen Äste tief genug waren. Dann hörte ich zu meiner kolossalen Erleichterung Stimmen. Einen Moment später tauchten zwei Gestalten auf dem Pfad unterhalb von mir aus dem Nebel auf. Menschen, zwei Männer mit Gewehren. Einer von ihnen trug zwei Waldschnepfen über der Schulter, ihre blicklosen schwarzen Augen starr wie Glasperlen.
    »Gott sei Dank!«, seufzte ich.
    Kein Bär oder Wolf. Ich fragte mich kurz, ob ich zuvor ihre Stimmen gehört haben mochte, obwohl das ihrem Aussehen nach zu schließen unwahrscheinlich war, dann rief ich ihnen einen Gruß zu. Ich wollte nun wirklich nicht mit einem der Tiere verwechselt werden, von denen ich mich verfolgt gefühlt hatte, und mir noch eine Kugel einfangen.
    »Salut! Quel temps!«
    Für den Fall, dass sie Wilderer waren und fürchteten, ich würde sie der Obrigkeit melden, hob ich, als sie näher kamen, beide Hände, um meine Harmlosigkeit zu demonstrieren.
    »Messieurs, bonjour à vous.«
    Sie nickten, antworteten aber nicht. Zwischen dem Rand ihrer Fellmütze und dem Schal, den sie bis über den Mund hochgezogen hatten, war von ihrem Gesicht nur ein schmaler Streifen um die Augen zu sehen, aber mir entging nicht, dass sie argwöhnisch waren. Ich konnte es ihnen kaum verübeln. Ich bot bestimmt keinen vertrauenerweckenden Anblick.
    »Je suis perdu. Ma voiture est crevée. Là-haut.«
    Ich deutete vage hinter mich, irgendwie in Richtung der Straße, und versuchte zu erklären, was geschehen war – der Schneesturm, der Unfall. Zum Schluss fragte ich, ob ich irgendwo in der Nähe Hilfe finden könne. Zunächst reagierte keiner der beiden. Ich wartete. Endlich wandte sich der Größere um und deutete den Weg hinab. Dieser führe zu einem Dorf namens Nulle, sagte er mit einer barschen Stimme, die nach Tabak und Rauch klang. Der Jäger hielt beide Hände hoch und krümmte zweimal alle zehn Finger. Ich runzelte die Stirn, begriff aber dann, dass er mir sagen wollte, es wäre noch ein zwanzigminütiger Fußweg. Zumindest vermutete ich, dass er das meinte.
    »Vingt minutes?«
    Er nickte und legte den Zeigefinger an die Lippen. Ich lächelte, um ihm zu zeigen, dass ich verstanden hatte. Die beiden hatten also keine Jagderlaubnis.
    »Oui, oui. Je comprends. Secret, oui?«
    Er nickte wieder, und wir gingen weiter unserer Wege, die beiden bergauf und ich weiter bergab. Ich fühlte mich unerklärlich erleichtert durch die Begegnung. Schon nach kurzer Zeit wurde der Weg flacher, und ich gelangte auf ein freies Stück ebenes Gelände, von wo aus ich über ein Tal bis zu den Bergen auf der anderen Seite blicken konnte. Der Himmel wirkte heller, und auf den Feldern lag kein Schnee, bloß ein Hauch von Frost überzog die zerfurchte Erde.

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