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Wintergeister

Wintergeister

Titel: Wintergeister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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benötigte, nicht gerade von allein, aber doch weniger zögerlich als zuvor kamen.
    »Das Klopfen an der Haustür hörte ich nicht. Aber ich weiß noch, dass ich die Schritte unseres Hausmädchens auf den Fliesen in der Diele wahrnahm. Florence schlurfte nämlich immer. Ich nahm das Öffnen der Tür und einige undeutliche Worte wahr, die zu leise waren, um sie verstehen zu können.
    Ich glaube, schon in diesem Moment wusste ich es. Die Stille hatte eine Beschaffenheit, die förmlich herausschrie, wie unerwünscht dieser Besucher war. Ich hörte mit dem auf, was ich gerade tat, und lauschte in die Stille hinein. Dann ertönte die helle, schrille Stimme meiner Mutter in der Diele. An der Tür. ›Ja, ja, ich bin MrsWatson.‹ Und Augenblicke später ein einziges Wort, das umso schlimmer war, weil es so leise ausgesprochen wurde: ›Nein.‹
    Die Gabel mit dem Brot fiel mir aus den Händen. Ich sehe sie noch heute, wie sie langsam hinunterfiel, wie Metall auf die Kaminplatte schepperte, Spitze, Ferse, Spitze, wie ein Stepptänzer, ehe sie liegen blieb. Das Brot, auf einer Seite wunderbar angeröstet, auf der anderen noch makellos weiß. Ich rannte los. Die Tür knallte nach hinten gegen die Wand, als ich auf Strümpfen die Treppe hinunterstürmte. An der immer gleichen gefährlichen Biegung rutschte ich aus, verlor den Halt und schlug mir das Schienbein auf. Blut begann, durch meinen Strumpf zu sickern, und ich erinnere mich noch, dass ich absurderweise dachte, ich würde für meine Ungeschicktheit ausgeschimpft werden.
    Hinunter in den ersten Stock, über den Flur, wo der Teppich anfing. Aus der Diele unter mir ein Geräusch, das mich durchfuhr wie ein Fleischermesser. Eigentlich kein Schrei, eher ein Heulen, ein Wehklagen, dasselbe Wort wieder und wieder: ›Nein, Neiiiin‹, bis ein einziger durchgängiger Ton daraus wurde.«
    Ich verstummte erneut, die Erinnerungen waren zu quälend. Ich schielte zu Fabrissa hinüber, wollte mich ihres Beistands vergewissern und dass sie das alles wirklich hören wollte.
    Sie nickte. »Bitte, erzähl weiter!«
    Ich hielt ihren Blick fest, starrte dann wieder dieselbe Stelle auf dem Tisch an.
    »Es war der fünfzehnte September, sagte ich das schon? Fast auf den Tag genau zwei Jahre, nachdem George sich zur Armee gemeldet hatte. Natürlich hatte ich ihn zwischendurch mal gesehen. Er war zweimal verwundet und nach Hause geschickt worden. Ein Problem mit den Ohren nach einem Bombardement, nicht allzu schlimm. Und beim zweiten Mal ein Schuss in den Oberschenkel, wiederum nicht lebensgefährlich.«
    Ich zuckte die Achseln, eine beiläufige Geste, um den Zorn zu verbergen, den ich auf die Ärzte und auf meinen Vater empfunden hatte, weil sie ihn zurück an die Front hatten gehen lassen, obwohl ich wusste, dass es sein eigener Wunsch gewesen war. Zwischen Heldentum und Arroganz verläuft ein schmaler Grat, und George war schon immer auf ihm gewandelt. Wir waren die Watson-Jungs. Nichts und niemand konnte uns etwas anhaben. Er hatte an den Mythos seiner eigenen Unbesiegbarkeit geglaubt. Ich dagegen? Ich hatte schon immer geahnt, dass die Welt ein gefährlicher Ort ist, an dem überall Fallen lauern.
    Beide Male flickten sie ihn wieder zusammen und schickten ihn zurück. Aber wir hatten schon länger keinen Brief mehr bekommen, seit Mai nicht mehr. Er sollte für ein paar Tage auf Heimaturlaub kommen, daher versuchte ich, mir keine Sorgen zu machen. Außerdem war ich in dem Sommer an einer schweren Grippe erkrankt und hatte daher in den Zeitungen nicht genau verfolgen können, wohin Georges Bataillon geschickt worden war.«
    Ich starrte meine Handflächen an, die Linien darin. Das waren nicht mehr die Hände eines Kindes, das Stecknadeln in eine Karte an der Wand pinnt.
    »Das Schlimmste war, dass keiner mit mir redete. Damals nicht. Und auch später nicht. Keiner sagte mir irgendwas. Als ich in die Diele kam und zu meiner Mutter lief, schlug sie nach mir, als könnte sie meinen Anblick nicht ertragen. Es war kein fester Schlag, aber ich taumelte rückwärts gegen den Dielentisch und stieß eine Kristallvase mit späten zartrosa Rosen zu Boden, wo sie klirrend zerbrach. Wasser und Glas und zerfetzte Blütenblätter auf dem Teppich. Es blieb Florence überlassen, mich in die Küche zu führen und mir Jod aufs Schienbein zu tupfen. Sie schluchzte. Ihre Haube saß ganz schief. Sie weinten alle, Florence und Maisie und MrsTaylor, unsere Köchin. Auch sie hatten ihn geliebt.
    Mutter zog sich in

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