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Wintergeister

Wintergeister

Titel: Wintergeister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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Hand fasste mich am Ellbogen und führte mich zu einem Stuhl. »So.«
    Ich setzte mich schwerfällig und beugte mich vor, stützte die Ellbogen auf die Knie und wartete darauf, dass der Raum aufhörte zu kreisen.
    »Ist sie hier?«
    »Ist wer hier, Monsieur?«
    »Fabrissa«, sagte ich ein wenig lauter. »Ist sie mit mir gekommen? Ist sie hier?«
    »Außer uns ist niemand hier«, erwiderte sie. Sie klang freundlich, aber ich hörte heraus, dass sie verwirrt war.
    »Sie ist nicht hier?« Eine Welle der Enttäuschung durchdrang mich wie Tinte ein Blatt Löschpapier, doch ich sagte mir, dass ich nichts anderes erwarten konnte. Inzwischen lag sie bestimmt bei sich zu Hause im Bett, was sonst? Ein Glas mit einer weißen Flüssigkeit erschien vor meiner Nase.
    »Trinken Sie das!«
    Ich hatte nur ein paar bittere Schlucke genommen, da begannen meine Finger zu zittern. Madame Galys feste, warme Hände schlossen sich um meine und halfen mir, das Glas zu leeren. Dann nahm sie es mir sachte weg.
    »Das wird Ihnen helfen zu schlafen.«
    Ich nickte nur, weil ich mir schon lange abgewöhnt hatte, danach zu fragen, was irgendwelche Pillen oder Arzneien bewirken sollten.
    »Wie spät ist es?«
    »Zehn Uhr, Monsieur.«
    »Morgens?«
    »Ja.«
    Ich sah mich im Zimmer um. Tatsächlich, es war Morgen. Alles war in ein mattes weißes Licht getaucht. Das Feuer war ausgegangen und hatte eine Pyramide aus weicher grauer Asche im Kamin hinterlassen. Auf dem Sims standen die Flasche und das Glas, beide leer.
    »Wir waren beunruhigt, als Sie nicht zum Frühstück herunterkamen, Monsieur.«
    »Ich hatte keine Ahnung, dass es schon so spät ist.«
    Ich runzelte die Stirn, versuchte, mir den genauen Ablauf der Ereignisse zu vergegenwärtigen. Ich hatte ein Bad genommen, war zurück in mein Zimmer gegangen, um genüsslich eine Zigarette zu rauchen und etwas zu trinken, während ich mich fertig machte. Ich schaute an mir hinab. Ich trug die Tunika und meine Tweedhose, aber die weichen Lederstiefel waren nirgends zu sehen. Ich konnte mich nicht entsinnen, sie ausgezogen zu haben. Ich schüttelte den Kopf, und ein Kaleidoskop von Farben explodierte vor meinen Augen. Ich presste die Hände an die Schläfen, um den Schmerz zu lindern.
    »Soll ich einen Arzt kommen lassen, Monsieur?«, fragte Madame Galy rasch.
    »Nein, nein. Keine Ärzte.«
    Allmählich verlangsamte sich das Kreiseln in meinem Kopf und hörte dann ganz auf. Wieso hatte ich keinerlei Erinnerung daran, wie ich mich von Fabrissa verabschiedet hatte und in die Pension zurückgekommen war? Offensichtlich hatte ich mir die Stiefel ausgezogen und angefangen, meine Kleidung abzulegen, aber dann? War ich ohnmächtig geworden?
    »Wissen Sie vielleicht, wann ich zurückgekommen bin?«
    »Zurückgekommen, Monsieur?«
    »Ja, vom Ostal? Irgendwer muss mich doch gehört haben?«
    Ihr Schweigen hatte etwas Vorsichtiges an sich, und ich spürte, dass Madame Galy innerlich mit sich rang, vielleicht weil sie etwas sagen wollte, sich aber nicht recht traute.
    Ich frage mich, wie viel sie zu diesem Zeitpunkt bereits über die Ereignisse der Nacht wusste. Mir war klar, dass ich starkes Fieber hatte, aber das kümmerte mich nicht. In diesem Moment in der Pension zählte für mich nur, warum Fabrissa nicht bei mir war.
    Warum hatte sie mich verlassen?
    Ich lehnte mich auf dem Stuhl zurück. Woran konnte ich mich erinnern? Der frühe Abend, ja, der war klar. Wie ich in der Kälte über die Place de l’Église und durch die Gasse neben der Kirche gegangen war. Sterne, Brillanten am Himmel, meine Finger kalt in der Tasche um die handgezeichnete Wegbeschreibung geschlossen. Der Ostal, Guillaume Marty, der mich begrüßte und anderen Gästen vorstellte. Die Wärme vom Feuer und die schwermütige Melodie des Troubadours, das Stimmengewirr, das mal leiser mal lauter wurde.
    Und Fabrissa.
    Mir stockte der Atem. Fabrissa, ja, und ich, der ich redete und redete. Wie ich meine Seele entblößte und mich verlegen fühlte, aber auch wusste, dass meine Last leichter geworden war. Dann war Unruhe ausgebrochen, und das Fest hatte in einer Prügelei geendet. Ja, daran erinnerte ich mich. Aber dann waren Fabrissa und ich doch von dort verschwunden, oder? Weil sie mir gesagt hatte, dass alles gut ausgehen würde. Die Erinnerung an den Staub und die Spinnweben im Tunnel, unsere Hände, die an berstendem Holz zerrten, wie wir blinzelnd gegen Ende der Nacht auf dem Berghang westlich des Dorfes herauskamen. Und wie wir uns bei

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