Winterträume
Kamels zum Hinterteil des Kamels – und sie wechselten ein besonders raffiniertes, vertrauliches Zwinkern, das nur wahre Kamele verstehen können.
Die Kristallschüssel
I
Es gab eine Altsteinzeit, eine Jungsteinzeit und eine Bronzezeit, und viele Jahre später gab es eine Kristallzeit. In der Kristallzeit setzten sich junge Damen, wenn sie junge Männer mit langen, geschwungenen Schnurrbärten überredet hatten, sie zu heiraten, einige Monate nach der Hochzeit hin und schrieben Dankesbriefe für all die Geschenke aus Kristallglas – Punschschüsseln, Fingerschalen, Wassergläser, Weingläser, Eisbecher, Pralinenteller, Karaffen und Vasen –, denn Kristall war zwar in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts durchaus nichts Neues, jedoch gerade zu dieser Zeit fand es seine Bestimmung darin, von Back Bay in Boston bis zu den wuchtigen Herrenhäusern im Mittleren Westen den Glanz der Mode zu reflektieren.
Nach dem Fest wurden die Punschschüsseln auf der Anrichte aufgestellt, die größte stets in der Mitte, die Gläser kamen in die Porzellanvitrine, die Kerzenleuchter fanden ihren Platz an den beiden Enden eines Möbelstücks – und dann begann der Kampf ums Überleben. Der Pralinenteller verlor seinen Griff und zog als Nadelteller in den ersten Stock; eine herumstreichende Katze schob die kleine Schüssel von der Anrichte, und das Dienstmädchen stieß mit der Zuckerdose an die mittelgroße, so dass ein Stück herausbrach; die Weingläser erlitten Beinbrüche, und sogar die Wassergläser verschwanden eines nach dem anderen wie die zehn kleinen Negerlein – das letzte endete verkratzt und ramponiert als Zahnputzglas neben anderen heruntergekommenen Vornehmheiten auf dem Bord über dem Waschbecken. Aber als dies alles geschah, war die Kristallzeit ohnehin vorüber.
Sie hatte ihren Höhepunkt bereits deutlich überschritten, als die neugierige Mrs. Roger Fairboalt die schöne Mrs. Harold Piper besuchte.
»Meine Liebe «, sagte die neugierige Mrs. Roger Fairboalt, »Ihr Haus gefällt mir ja so. Ich finde es so künstlerisch.«
»Das freut mich sehr «, sagte die schöne Mrs. Harold Piper, und ihre jungen, dunklen Augen leuchteten, »und Sie müssen unbedingt öfter kommen. Ich bin nachmittags fast immer allein.«
Mrs. Fairboalt hätte am liebsten bemerkt, dass sie das ganz und gar nicht glaubte und auch keinen Grund sah, warum sie es hätte glauben sollen – schließlich wusste die ganze Stadt, dass Mr. Freddy Gedney seit sechs Monaten an fünf Nachmittagen pro Woche Mrs. Piper mit seinem Besuch beehrte. Mrs. Fairboalt war in jenem reifen Alter, in dem sie allen schönen Frauen misstraute…
»Am besten gefällt mir das Esszimmer«, sagte sie. »All das wunderschöne Porzellan und diese riesige Kristallschüssel.«
Mrs. Piper lachte so hübsch, dass Mrs. Fairboalts noch bestehende Vorbehalte hinsichtlich der Freddy-Gedney-Gerüchte beinahe weggeblasen waren.
»Ach, die große Schüssel!« Mrs. Pipers Mund war wie eine lebende Rosenblüte. »Dazu gibt es eine Geschichte.«
»Ach ja?«
»Erinnern Sie sich an den jungen Carleton Canby? Nun, er hat sich früher einmal sehr um mich bemüht, und an dem Abend vor sieben Jahren – das war zweiundneunzig –,als ich ihm sagte, dass ich Harold heiraten würde, richtete er sich auf und sagte: ›Evylyn, ich werde Ihnen etwas schenken, das ebenso hart und schön und leer und leicht zu durchschauen ist wie Sie.‹ Er hat mir ein bisschen Angst gemacht, seine Augen waren so schwarz. Ich dachte, er würde mir ein Geisterhaus überschreiben oder etwas, das explodiert, wenn man es öffnet. Aber dann kam diese Schüssel, und sie ist wirklich schön. Ihr Durchmesser oder Umfang oder wie man das nennt beträgt fünfundsiebzig Zentimeter – oder waren es hundert? Jedenfalls ist sie eigentlich zu groß für die Anrichte – sie steht ja über.«
»Was für eine eigenartige Geschichte, meine Liebe! Ungefähr um diese Zeit ist er auch fortgegangen, nicht?« Mrs. Fairboalt machte sich in Gedanken eifrig Notizen, in Kursivschrift: hart und schön und leer und leicht zu durchschauen.
»Ja, er ging in den Westen oder in den Süden, irgendwohin«, antwortete Mrs. Piper und verströmte jene göttliche Unbestimmtheit, die der Schönheit hilft, über die Zeit erhaben zu sein.
Mrs. Fairboalt zog ihre Handschuhe an und lobte den Eindruck von Größe und Weiträumigkeit, den der offene Durchgang vom geräumigen Musikzimmer zur Bibliothek erzeugte, von wo
Weitere Kostenlose Bücher