Wintertraum und Weihnachtskuss: Eine Liebesgeschichte in 24 Kapiteln (German Edition)
Kein Leben war so bescheuert wie meines.
11. Dezember
B eim Frühstück am Samstag sagte Biene, dass wir Otto gegen elf Uhr in seinem Kiosk abholen und zu einem Bauernhof am Stadtrand fahren würden, um dort unseren Christbaum zu kaufen. »Einen richtig großen Baum?«, fragte ich ungläubig. »Sonst hatten wir doch nur ein Topfgewächs, das wir auf den Tisch stellten.«
»Jetzt wo wir eine richtige Familie sind, muss auch ein ausgewachsener Baum her«, sagte Biene bestimmt und schaute mich streng an. »Keine Widerrede, Holly.«
»Können wir uns das leisten? Ein Baum bedeutet Kerzen, Kugeln, Lametta und all so was.«
Biene wedelte lässig mit der Hand. »Das geht schon. Stell dir nur vor, wie schön unsere Krippe unter den dunkelgrünen Zweigen aussehen wird«, schwärmte sie.
An diesem Tag war ich echt gut drauf. Das kam daher, dass ich mir insgeheim immer einen »richtigen« Baum gewünscht hatte – so gesehen hatte die Gesamtfamilie also doch was Gutes, und dann hatte ich auch noch eine Lösung für mein Problem gefunden: Ich würde mit Pauli gehen, die Sache aber nicht überstürzen. Man musste sich ja nicht gleich ewige Treue schwören, fand ich. Ich würde Pauli ganz klar zu verstehen geben, dass ich jederzeit Schluss machen würde, wenn mir danach war. Im Klartext bedeutete es natürlich, dass der 24. Dezember mein Schicksalstag würde: Entweder wäre ich danach mit Pauli oder, falls Matteo tatsächlich mein Wichtel war, mit ihm zusammen. Das absolut Fantastische an meiner Problemlösung war die Tatsache, dass ich, egal wie die Sache ausging, einen Freund hatte.
Sehr vergnügt erklärte ich, dass ich beim Baumkauf dabei sein würde. Auch Nell nickte. »Klar komm ich mit. Otto und ich steckten früher nur ein paar Tannenzweige in ’ne Vase und das war’s dann auch schon. Ich freu mich auf den Baum, Biene!«
»Du musst dich nicht schon wieder einschleimen, Nell«, warnte ich sie in aller Freundschaft. »Jedenfalls – danach gehen wir auf die Eisbahn. Abgemacht?«
»Klar. Ben und Matteo kommen auch.«
»So? Ich bin mit Pauli verabredet.«
Biene hob die Augenbrauen. »Wer ist Pauli?«
Nell kicherte. »Hollys neuer Freund.«
Wenn ich an diesem Morgen nicht so guter Laune gewesen wäre, hätte ich Nell gesagt, sie solle sich aus meinen Angelegenheiten raushalten. Ich beschränkte mich aber auf die Info, dass Nell gleich zwei Freunde hatte. »Weiß das dein Vater?«, wollte Biene sofort wissen.
»Nee, das weiß er nicht.« Nell lächelte ihr weiches Ei sehr liebevoll an, bevor sie es köpfte. »Es ist nämlich so, Biene: Nur der eine ist mein Freund. Der andere ist der Freund meines Freundes.«
»Du lieber Himmel!« Biene legte ihr angebissenes Brötchen auf den Teller. »Das bedeutet, dass der Freund deines Freundes wartet, bis du zu haben bist?«
Nell schüttelte den Kopf. »Du siehst das falsch, Biene. Der Freund meines Freundes will nichts von mir wissen.«
»Was will er denn dann?«
»Er möchte einfach nicht immer was allein unternehmen«, erklärte Nell.
»Warum sucht er sich nicht auch ’ne Freundin?«, erkundigte ich mich harmlos.
»Das musst du ihn schon selbst fragen.« Nell lachte.
»Oho!«, rief Biene. »Du weißt also, wer der Freund des Freundes ist, Holly?«
»Kann’s mir denken«, knurrte ich. »Aber Nells Freunde interessieren mich nicht.«
Das war natürlich glatt gelogen. Tatsache war, dass mich das Gespräch komplett durcheinandergebracht hatte: Matteo ging doch mit Irene?! Ich stand auf. »Biene, wo sind die Schlittschuhe?«
Sie seufzte. »Gute Frage. Irgendwo im Abstellraum müssen sie sein.«
Im Abstellraum setzte ich mich auf eine Kiste und überlegte, warum Matteo behauptete, allein zu sein, wo er doch mit Irene zusammen war. Warum eierte er herum? Warum machte er nicht wie jeder normale Mensch den Mund auf und sagte, was in ihm vorging? Na ja, ich ahnte die Antwort und ärgerte mich aufs Neue über unsere streitsüchtigen Großväter, die die Feindschaft angezettelt hatten. An der Tatsache war so schnell nichts zu ändern, und wenn doch, musste Matteo den ersten Schritt tun. Aber tat er denn nicht schon den ersten Schritt, indem er mir wichtelte? Ich runzelte die Stirn: Falls er der Wichtel war, musste er eben bis zum 24. durchhalten. Der 24. war unser Schicksalstag …
Nach einigem Stöbern fand ich die Schlittschuhe. Ich rannte nach oben, zog einen dicken Pulli über das T-Shirt und gestrickte Socken über die Füße und kramte in allen Schubladen nach
Weitere Kostenlose Bücher