Winterwelt (Sommer-Sonderpreis bis zum 06.08.2012!) (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
wieder die Hirngespinste ein. Sobald es dämmerte, war die Idee des umher spukenden Geistes gar nicht mehr so abwegig. Natürlich war ihr auch klar, dass sie am nächsten Morgen über diese kindischen Gedanken den Kopf schütteln würde, doch lag es nun einmal in ihrer Natur, am Tage mutiger zu sein als in der Nacht. Trotzdem packte sie ihre Sachen schnellstmöglich zusammen und verschwand.
Die nächsten Wochen wurden immer seltsamer. Die große Lücke im zweiten Zimmer sollte nicht die einzige bleiben, die sie finden würde. Mit jedem nachfolgenden Raum gewannen die grauen Wände an Macht. Tröstlich war nur, dass sie kein gänzlich leeres Zimmer vorfand – noch nicht.
Doch Arrow konnte tun, was sie wollte – am nächsten Tag waren fast alle ihre Entwürfe wieder überarbeitet. Da war ein pausbackiger Mann, dem sie das fehlende Frühstücksbrot ergänzte – am nächsten Tag befand sich anstelle dessen eine Flöte. Es gab eine dicke Frau, die tief Luft holte – doch anstatt des Mannes, der ihr ein Taschentuch reichte, befand sich am folgenden Tag eine kleine Musikkapelle an der Wand. Und dann gab es auch noch einen jungen Mann, der voller Begeisterung auf den Boden vor sich starrte. Arrow ergänzte die Fläche mit einer Blumenwiese. Anstelle dessen fand sich dort am nächsten Morgen eine bezaubernde Nixe in einem Teich. Hier gab es jedoch den Hinweis, dass dem Künstler das Blumenfeld gefallen hatte. Ein Pfeil verwies auf eine Stelle, an der es umgesetzt werden sollte.
Gegen Arrows Farbgebung für seine Entwürfe schien er kaum Einwände zu haben. Es gab lediglich kleinere Änderungen.
Während dieser ganzen Zeit erzählte sie niemandem etwas davon und verkaufte alles als ihr eigenes Werk. Allerdings war ihr gar nicht wohl dabei. Zweifellos konnte man das fortgeschrittene Talent des Künstlers erkennen und sie gestand es sich selbst auch ein, gewisse Techniken oder Perspektiven, die er benutzte, nicht beherrschen zu können. Nichtsdestotrotz war es unfair, sie so an der Nase herumzuführen.
Als lediglich Kleinigkeiten zur Vollendung des nächsten Zimmers ergänzt werden mussten, beschloss Arrow nach vielen Wochen, am Abend mal wieder länger zu bleiben. Zwar fühlte sie sich noch immer nach Einbruch der Dunkelheit unwohl im Schloss, doch so konnte sie den nächsten Tag mit einem neuen Raum beginnen.
Ein kleiner Vogel unter den Wolken musste noch ausgebessert werden, dann war das Werk vollständig.
Als sie sich zurücklehnte, vernahm sie ein leises Knarren, das ihr wiederholt ins Gedächtnis rief, auf welch einer wackligen Konstruktion sie sich befand. Doch ehe sie sich einmal mehr sagen konnte, dass es an der Zeit war, sich etwas Neues zu überlegen, brach das gesamte Gestell unter ihr zusammen.
Vor lauter Panik griff sie nach einem alten Metallgestell, das aus der Wand ragte und einst dazu gedient hatte, eine Fackel zu tragen. Zweifellos war es schon länger nicht mehr in Benutzung und noch weniger Zweifel hatte Arrow daran, dass es jemals dazu gedacht war, das Gewicht einer erwachsenden Frau auszuhalten. Wie in einer Sanduhr bröselte der Putz von der Halterung. Anscheinend war es nur eine Frage der Zeit, bis Arrow sich nach einem Sturz in die Tiefe sämtliche Knochen brechen würde.
Nach einem weiteren Rumpeln unter ihr vernahm sie ein Schaben an der Wand.
„Die Leiter steht genau neben dir“, hörte sie eine fremde Stimme sagen. „Ich halte sie fest, bis du unten bist.“
Am ganzen Leib zitternd, suchte sie mit ihrem Fuß nach der Stufe. Als sie wieder sicher auf der Leiter stand, krallte sie sich mit aller Kraft daran fest. Nur zögerlich trat Arrow die Stufen herunter, denn der Schreck saß ihr in allen Knochen. Bei der letzten Stufe angekommen, gaben Arrows Beine unter ihr nach. Jemand fing sie auf, bevor sie zu Boden fallen konnte. Doch als sie sich wieder sammelte und umdrehte, wartete ein viel größerer Schock auf sie.
„Der Mann in dem Umhang“, flüsterte sie leise. Und er war es wirklich. Der stechende Schmerz in ihren Armen verriet, dass sie nicht träumte. Doch er sah anders aus, als auf dem Bild – jünger und schöner.
Einige Räume entfernt, waren schnelle Schritte zu hören. „Kind! Arrow! Ist alles in Ordnung? Ich habe es bis in die Küche scheppern ...“ Mitten im Satz brach Sally ab. Ihr Gesicht war kreidebleich. „Keylam! Bist du von allen guten Geistern verlassen? Du hast hier nichts zu suchen!“
„Er hat mich gerettet“, stammelte Arrow verwirrt.
„Das tut
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