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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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da. Ein Holzkreuz, schon halb abgefault. Max Gäntschow, geboren am 21. Juli 1887, gestorben am 3. September 1921 – haben sie ihn hier doch eingescharrt bei den alten, rechtlichen Leuten. Das hat der Marder noch gemacht, ich will ihn auch einmal wieder besuchen. Dieser Vikar, der Oldörp, hätte ihn auf dem Schindanger verscharrt – aber was ist ein Schindanger?
    Ein rascher, eiliger Schritt, und Christiane steht neben ihm. Sie läßt die Schleppe fallen von ihrem schwarzen Reitkleid und faßt ihn mit beiden Händen an der Schulter und schüttelt ihn, weinend und lachend.
    Oh, Hannes, Hannes, du dummer Bengel, stößt dich wieder einmal der Bock! Und ich muß dir zum Gespött der ganzen Gegend in meinem Schleppenkleide nachlaufen, und du bewillkommnest mich hier so recht in deinem Eigenen, sturer Bauer zwischen sturen Bauern. Oh, Hannes, wer hätte das von uns gedacht, vor vierzehn Jahren, daß wir uns so wiedertreffen müssen?!
    Und nun weint sie wirklich.
    |426| Christiane, sagt er tonlos, Tia, sagt er, aber es ist mehr ein Bewegen der Lippen als Sprechen.
    O Gott, jawohl, o Gott! Er starrt sie an, hat er doch immer an die sechzehnjährige Christiane gedacht, die ihn verlassen hat, ein dunkles, unentwickeltes Mädchen, aber nun steht eine Frau vor ihm, eine erblühte, schöne Frau. Ach, sie ist wie die reifere, schönere, herrlichere Schwester eines Traums, der schon blaß zu werden beginnt. Und der alte, liebe Name Tia klingt nur wie ein Echo aus versunkenen Zeiten.
    Sie lacht. Sie lacht. Ja, da stehst du und staunst. Das kann ich mir denken von meinem Freunde Hannes, daß du all die Jahre rumgelaufen bist und hast mit deiner sechzehnjährigen Freundin und Backfisch geschmollt und geschimpft. Und du bist immer größer geworden und weiser und welterfahrener. Und du hast das alte Mädchen mit deiner Überlegenheit völlig zerdrückt. Und daran hast du natürlich nie eine Sekunde gedacht, daß ich sechs Jahre lang gestorben bin und mir Seele und Herz mit dem Blut zusammen aus dem Leibe gehustet habe. Und daß man keine große Lust hat, seinem Freund zu schreiben: ich bin noch nicht tot, aber in vier Wochen bin ich bestimmt tot. Und so was nennst du nun Freundschaft, Hannes. Und wie ich dann wirklich wieder lebendig geworden bin, da war ja der hohe Herr spurlos verschwunden, und keiner wollte wissen, wo er hin war. Und dem Zeloten, dem Oldörp, habe ich schon Bescheid gesagt. Und das soll mir mal einer verbieten auf dieser Welt, daß ich dem einzigen Freunde, den ich je gehabt habe und der sechs Monate sechs Kilometer von mir ab wohnt, mal eine Botschaft schicke! Das soll mir mal mein Freund verbieten!
    Sie sah ihn an mit lachenden, funkelnden Augen.
    O Hannes, da stehst du wie ein Stock, und sicher bist du noch genauso schwierig wie früher und mit einem Ehrgefühl wie ein Stecknadelkissen. Und jetzt habe ich nicht mehr die geringste Zeit für dich. Joachim – aber ich nenne ihn Stupps – hat mir drei Minuten gegeben, und zehn Minuten rede ich |427| hier schon. Und wir haben heute Staatsvisite, den Landrat und die halbe Landwirtschaftskammer, weil wir nämlich eine echt englische Fleischschafzucht aufmachen – und die kleinen, süßen Lämmer solltest du einmal sehen! Aber in den nächsten Tagen komme ich einmal runtergeritten zu dir, und dann will ich deine Frau kennenlernen … Und nun adjüs, Hannes, Dickkopf. Und das sehe ich ja nun schon wieder, daß unsere alte Freundschaft neu wieder völlig auf dem alten Fuße beginnt. Und daß ich dich umwerben muß, und daß du nur ja oder nein sagst. Und so frage ich dich denn, Johannes Gäntschow, bist du damit einverstanden, daß ich dir am Donnerstag nachmittag mit meinem Gatten eine Antrittsvisite mache? Sagen wir um halb fünf.
    Ja, sagte er.
    Tjüs, Hannes, grüß deine Frau. O Gott, was wird Joachim schelten.
    Und sie lief fort, die Schleppe des Reitkleides unter dem Arm. Er sah ihr nach, hielt sich am Gitter des Gäntschowschen Erbbegräbnisses und sah ihr nach. Und es war ihm wie zwischen Traum und Tag. Zwischen Tod und Leben. Zwischen Weinen und Lachen. Nicht vor Donnerstagmittag sagte Gäntschow zu seiner Frau: Wir bekommen heute nachmittag Besuch.
    Ja? fragte sie und lächelte ihn an. Vorstehers?
    Wendlands, sagte er und aß weiter.
    Ihr Lächeln erstarrte. Ihre rosige Farbe verblich. Sie sah ihn an, und ihre Augen waren sehr groß.
    Wir können in meinem Zimmer Kaffee trinken, sagte er, es sitzt sich da netter.
    Ja, sagte sie wieder.
    Sie hatte sich

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