Wir neuen Großvaeter
so für mich hin, um nichts zu suchen, das war mein Sinn«, soll Wölfchen schon sehr früh skizziert haben.
Verblüfft stelle ich nun fest, dass Leo eine klammheimliche Freude an Zahlen entwickelt. Sage ich zum Beispiel: »In fünf Jahren wird mein Festgeld fällig«, kommentiert er nach kurzem Grübeln: »Da bin ich elf Jahre alt, Max ist dann zehn und Ferdinand sieben Jahre.« Und er vergisst nicht zu ergänzen: »Du bist dann sechsundsiebzig!« Leo ist sicher kein Wunderkind, aber ein Talentfragment steckt bestimmt hinter seiner Zahlenhexerei. Auch widerlegt er das Bild, das noch in vielen Köpfen über Mathematiker existiert: Er trägt weder Bart, Brille oder Birkenstocksandalen und bewegt sich nicht am Rande des Wahnsinns. Selbst wenn er die Zunge herausstreckt, hat er keine Ãhnlichkeit mit dem guten alten Einstein.
In der menschlichen Kultur finden sich Zahlzeichen, bevor es Buchstaben und Schrift gab. Es gibt einen etwa 20.000 Jahre alten Knochen aus Zentralafrika, auf dem sich Markierungen befinden in Gruppen von 11, 13, 17 und 19, den Primzahlen zwischen 10 und 20.
In einem in der Frankfurter Rundschau veröffentlichten Leserbrief äuÃerte sich eine »besorgte Mutter« zu einer für ihren Sprössling »unverständlichen Mathematikaufgabe« und nutzte die Gelegenheit zu einem pädagogischen Rundumschlag mit der Frage: warum überhaupt die Schüler mit Mathematikaufgaben gequält würden, wo doch jeder noch so unscheinbare Taschenrechner die Lösungen viel schneller und fehlerfreier zu präsentieren imstande sei.
Prompt kam Antwort von »einer besorgten Lehrerin«. Die Verfasserin ging ausführlich auf den mathematischen »Stein
des AnstoÃes« ein und plädierte für die »Förderung des Denkvermögens« ihrer Schüler. Irgendwie glich ihr Brief einer Hymne auf die Schönheit mathematischer Gleichungen.
Ich war in Mathematik eine Niete und habe mich â wie viele Zeitgenossen â später noch damit gebrüstet. Inzwischen erkenne ich, dass wir zu unserer Welt â ja zum gesamten Universum â einen exakten Zugang nur über Zahlen bekommen. Unsere gesamte Technik basiert auf einer hochentwickelten Mathematik. Einsteins Relativitätstheorie ist kein mathematischer Krimskrams, sondern bietet wertvolle Einsichten in die Strukturen von Raum und Zeit und damit unserer eigenen Existenz. Oft höre ich, dass es den Lehrern nicht gelingt, ihre Schüler für die Philosophie hinter den Zahlen zu interessieren. Ich hätte stutzig werden müssen, als mein Mathematiklehrer Fritz Wolfart â er lebt längst in den seligen Gefilden trigonometrischer Formeln â davon sprach, dass zwei Parallelen sich in der Unendlichkeit treffen. Dies ist eine mathematisch-philosophische Aussage. Es ist kein Wunder, dass viele berühmte Physiker und Mathematiker später zu groÃen Philosophen wurden.
Angewandte Mathematik geht über das Addieren von Preisen im Supermarkt hinaus. Ohne die exakte Anwendung der beiden Zahlen »O« und »1« gäbe es zum Beispiel keine Computer, keine Handys und keinen automatischen Kochtopf.
Wer sich heute in der Schule weigert, hinter die Geheimnisse der Zahlen zu schauen, wird wenig Erfolg in Beruf und Karriere haben.
Die zitierte »besorgte Lehrerin« hat recht: Das im Unterricht erworbene Wissen lässt sich in der Tat zur Lösung wirklichkeitsbezogener Probleme einsetzen. Mathematik kann spannend
sein. So wurde zum Beispiel am 20.2.2002 um 20.02 Uhr in Kopenhagen der kleine Lucas geboren. Sein Erscheinen löste einen Presserummel aus, denn dieser Zeitpunkt ist ein seltenes Palindrom, eine Zahlenreihe, die sich von hinten genauso wie von vorne lesen lässt. Das letzte Palindrom war am 11. 11. 1111 um 11.11 Uhr, das nächste ist erst am 21.12.2112 um 21.12 Uhr.
Weil ich als Schüler kaum Zugang zur Mathematik gefunden habe, interessiere ich mich wahrscheinlich heute für das Mysterium der Zahlen.
Davon, dass Mathematik ein Fach ist, das Spaà und Freude macht, sind wir noch weit entfernt. Mathematik braucht Erfolgserlebnisse. Wenn wir an einem Sudoku knobeln oder ein schwieriges Kreuzworträtsel plötzlich aufgeht, dann macht es »klick«, und eine Hürde ist genommen. Auch Schachspieler kennen diesen Triumph, wenn sie nach zähem Ringen den Gegner schachmatt gesetzt haben.
»Mathe kann Spaà machen«, sagt
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