Wo die Liebe beginnt
Schublade und für die vage Hoffnung auf diesen Tag.
Aber am meisten tut mir leid, dass ich Conrad, ihrem Vater , nicht die Wahrheit gesagt habe. Das ist der Teil der Geschichte, den ich am heftigsten zu verdrängen versuche, den ich auch Peter nicht gebeichtet habe. Mir selbst habe ich eingeredet, es wäre nur ein unwesentliches Detail, obwohl ich tief im Inneren genau wusste, dass es viel, viel mehr war. Nein, es ist ein wesentlicher Aspekt, und ich kann nicht länger die Augen davor verschlieÃen. Kirby hat nichts davon gesagt, dass sie ihren leiblichen Vater suchen will, aber ich bin mir sicher, dass sie bald den Wunsch haben wird. Und was dann?
Ich gehe ins Bett, in Gedanken noch bei jenem Tag, jenem Moment, in dem ich Conrad angelogen habe. Kurz davor hatte er mir noch gesagt, dass er mich liebte, und ich hatte nichts darauf erwidert. Es war der Beginn des Versuchs, meine Gefühle zu verleugnen, ihn total aus meinem Gedächtnis zu streichen. Ich erinnere mich noch an die Panik in meiner Kehle, als ich neben ihm auf der Couch saà und seine Hand hielt, während wir die Simpsons schauten. An seine Erleichterung über den »negativen« Test und sein Gelächter über Barts flotte Sprüche, das mich nur noch tiefer in meine Verzweiflung stürzte.
»Stimmt was nicht, Baby?«, fragte er einmal, als er merkte, dass ich nicht lachte, obwohl ich die Serie sonst gerne guckte.
Da lieà ich die Bombe platzen. »Ich weià nicht, ob wir weiter miteinander zusammen sein sollten.«
»Du meinst ⦠du willst Schluss machen?« Sein Gesicht spiegelte die Angst und die Bestürzung wider, die ich selbst bei dem Gedanken empfand, ihn zu verlieren.
Ich sagte Ja.
»Aber warum ?«, fragte er ganz verzweifelt.
»Weil der Sommer schon fast vorbei ist«, sagte ich und schaute auf meinen SchoÃ.
»Aber noch ist er nicht vorbei«, erwiderte er. Anscheinend war für ihn unsere Trennung auch schon beschlossen, nur der Zeitpunkt war noch offen.
»Aber bald. Und ⦠jetzt ist es einfacher.«
Ich schaute ihn an, aber er wandte den Blick ab, als müsste er sich alles durch den Kopf gehen lassen. Mit unbewegter Miene sah er mir dann in die Augen. »Wenn du es so willst â¦Â«
»Ich glaube, das ist am besten«, sagte ich. Wünschte ich mir eigentlich, dass er mir zustimmte oder dass er um mich kämpfte? Ich wollte beides. Und ich wollte nichts davon. Ich wollte, dass der rosafarbene Strich verschwand.
»Am besten?«, wiederholte er.
»Ja.«
Er nickte. Dann schaltete er den Fernseher aus, legte die Fernbedienung auf den Couchtisch und starrte blinzelnd auf den schwarzen Bildschirm. Plötzlich waren seine langen, dunklen Wimpern feucht. Ich schaute weg und rang mit dem Impuls, ihn zu umarmen, alles zurückzunehmen, mit ihm zu schlafen â und ihm die Wahrheit zu sagen.
Dieses Verlangen wurde noch stärker, als er mir zuflüsterte: »Ich will dich noch nicht verlieren.«
Es war das »noch nicht«, das mir das Herz brach, die Verzweiflung und Resignation, die ich darin hörte. Ich sah ihm in die Augen, während wir beide schwiegen, und stellte mir vor, wie es vielleicht anders laufen könnte. Ich malte mir aus, dass wir das Baby zusammen aufziehen würden, dass wir gemeinsam abseits des Campus in Ann Arbor wohnen und irgendwann heiraten würden. Es wäre kein Zuckerschlecken, aber ich wusste, dass meine Eltern uns unter die Arme greifen würden. Irgendwie würden wir das schon hinkriegen. Er würde auf das Baby aufpassen, während ich meine Vorlesungen besuchte â und abends und am Wochenende konnte er Musik machen. Es wäre keine gewöhnliche College-Zeit. Keine Partys, keine betrunkenen Küsse. Keine Footballspiele oder Tanzabende. Aber es wäre machbar. Vielleicht wäre es sogar schön. Ich konnte dann noch immer auf die Filmhochschule gehen, noch immer Autorin und Produzentin werden. Und Conrad konnte noch immer Musiker werden oder das machen, was er eben tun wollte. Wir konnten ein Team sein. Für immer. Nur wir beide â und dann wir drei. Vielleicht wollte das Schicksal ja, dass es genauso geschah.
Eine Sekunde lang war ich kurz davor einzuknicken, aber dann überfiel mich eine andere Vision: nächtliche Streitereien, Türenknallen, ein schreiendes Baby, dauernde Ãbermüdung, nicht bestandene Seminare, ein Notendurchschnitt, der nicht fürs Graduiertenstudium
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