Wo die Toten ruhen - Psychothriller
Inneneinrichtung. Sie sagte, dieses ganze zur Schau getragene Design täte ihr in den Knochen weh.
Sie hatte sich hier nie wohl gefühlt. Er wusste das. Die sorgfältig mit der Hand polierten Möbel, die sie anfertigte, blieben fast alle in ihrer Werkstatt, weit weg von ihm, mit wenigen persönlichen Ausnahmen. Er ging zum Haus und wischte ein Spinnennetz von dem reich verzierten Holz, das die zweieinhalb Meter hohe Haustür umrahmte. Der viktorianisch anmutende Hausschlüssel - ein Anachronismus - hing an demselben Schlüsselring wie sein Autoschlüssel mit dem modernen
Kunststoffgriff. Er hatte absichtlich ein altes Schloss gekauft und dann einen Schlosser gesucht, der einen passenden Schlüssel dafür anfertigte. Schlüssel waren Rays Leidenschaft. Dieser Hausschlüssel hielt leichtfertige Gelegenheitseinbrecher ab, niemals hätten sie das Schloss damit knacken können. Zum Teufel, sollte es jemandem doch gelingen, wäre ich der Erste, der ihm applaudieren würde, dachte Ray und schob die Tür auf.
Die verglaste Wand gab den Blick frei auf braungrüne Hügel und den in der Ferne unter einem riesigen niedrigen Mond schimmernden Ozean. Er hatte schicke fugenlose Eckfenster einbauen lassen, um die Aussicht noch besser zur Geltung zu bringen und ein Gefühl des Schwebens zu erzeugen. In diesem Augenblick jedoch nahm er das Panorama kaum wahr. Das Haus, das er insgeheim als »Horst« bezeichnete, hatte ihm zum beruflichen Erfolg verholfen. Kunden kamen, um sich inspirieren zu lassen, und meist waren sie so eingeschüchtert, dass sie die hohen Preise zahlten, die seine Firma für seine Visionen verlangte. Falls das Haus - nur über seine Leiche - je verkauft werden sollte, dann könnte er sich jedenfalls zur Ruhe setzen und von dem Erlös ein langes, komfortables Leben führen.
Er warf seine Schlüssel auf den schweren Bohlentisch im Vorraum. Auf dem Weg in die Küche erinnerte er sich, dass er sämtliche Vorschläge von Leigh kategorisch abgelehnt hatte. Stattdessen hätte er sie ermutigen sollen. Es hätte alles ganz anders laufen können. Er war kleinlich gewesen, stur und überfürsorglich, wie seine Mutter. Es war seltsam, aber wahrscheinlich menschlich, dass er fast automatisch in seinem erwachsenen Leben dieselben Verdrängungsmuster fortsetzte, die er früher als Kind an seiner Mutter so gehasst hatte.
Er schenkte sich ein Glas Obester Sangiovese aus dem Half-Moon-Bay-Weingeschäft ein. Er kostete ihn, hätte jedoch ebenso
gut Wasser trinken können, denn in dieser Stimmung nahm er weder das Bukett dieses einzigartigen Weines wahr, noch schmeckte er dessen würzige Reife. Er griff nach dem Glas, einem Stück Käse und ein paar Kräckern und machte sich auf in den Keller.
Vorsichtig stieg er die tückische Treppe hinunter, die er ohne Geländer entworfen hatte, ohne Rücksicht auf die Tatsache, dass Menschen sich betranken und hinunterstürzten, so wie er selbst in einer denkwürdigen Nacht. Er betrat seine Zuflucht, einen Raum von fast dreißig Metern Länge, und schaltete die Deckenbeleuchtung ein, gebündelte Halogenstrahler, die den Raum erwärmten, ohne ihn zu überheizen.
Im Augenblick hatte er vier Modelle der frühesten Häuser, an die er sich erinnern konnte, in Arbeit, in denen er zwischen dem vierten und achten Lebensjahr gewohnt hatte. Er trank seinen Wein, stellte das geschliffene Kristallglas ab, aß einen Bissen Käse und einen Kräcker und holte dann von einem Regal am Ende des Raums die Heißklebepistole. Er wollte die Eisenbahnschienen hinter dem Haus im Dittmar Drive in Whittier in Angriff nehmen. Das Haus allein erzählte nicht die ganze Geschichte. Präzise, vorsichtig und immer wieder die Blaupausen zu Rate ziehend, die er vor einigen Monaten bekommen hatte, strich er einen langen Streifen Heißkleber hinter den winzigen Gitterzaun am Hinterhof. Morgens und oft auch nachts waren Züge vorbeigedonnert, manchmal mehr als hundert Güterwagen lang.
Er musste es wissen. Er hatte sie gezählt. Immer wieder.
Er strich sich über das Kinn. Das Schlafzimmerfenster war zu hoch, als dass ein kleiner Junge von drinnen etwas sehen konnte. Er musste die Anhöhe korrigieren. Die Blaupausen waren falsch; er erinnerte sich an dieses Schlafzimmerfenster und an die weißen Vorhänge, die Esmé jedes Mal aufhängte,
und an das alte Bett aus dem Gebrauchtmöbelladen, in dem ihm der Rücken wehtat.
Er aß noch einen Kräcker und machte sich an die Arbeit. Egal, die schmerzliche Wahrheit war, dass er sich
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