Wo die Toten ruhen - Psychothriller
raubten.
Seine Mutter hatte davon gesprochen, sich hier niederzulassen, und sie hatte einen guten Job in einem Eisenwarenladen gefunden. Sie lebten ein ruhiges Leben, fuhren gelegentlich auf eilige, stets kurze Besuche zu seiner kränklichen Großmutter in Montebello. Esmé hielt sich an ihre Küche und die gesammelten Kochbücher. Sie experimentierte mit Ray, machte Muffins
mit Pekanüssen und Orangen, Pfannkuchen mit Ahornzucker , Eierkuchen mit Zucchini. Aus lauter Notwehr weigerte er sich irgendwann, irgendetwas anderes zu essen als Frühstücksflocken, bis sie sich erweichen ließ und ihm wieder einfachere Kost servierte.
Im Rückblick war es, als hätten sie wirklich ein neues Leben angefangen. Und dann, eines Nachts im August, ja, in einer weiteren Augustnacht, war sie wahrscheinlich mit ihm umgezogen. Er war am Morgen in einem neuen Haus aufgewacht, ohne dass er sich an den Umzug erinnern konnte.
Das machte dieses Haus vielversprechend.
Die Sommersonne tanzte auf dem Bürgersteig und heizte die Steinmauer auf, neben der er parkte. Die Haustür des Cottages öffnete sich, und die Frau kam heraus. Sie hielt eine ausziehbare Leine in der Hand. Der große gelbe Labrador ging artig bei Fuß, als sie die Straße hinauf verschwanden.
Sie war wahrscheinlich nicht lange weg, obwohl ein Hund dieser Größe wirklich einen schönen, langen Spaziergang brauchte. Er stieg aus dem Auto, erklomm langsam die Stufen zur Veranda und klopfte an die Tür. Nichts. Er zog seine Schlüsselfamilie heraus. Bevor er einen ausprobierte, spielte er ein kleines Spiel. Welcher passte wohl? Er nahm sie liebevoll einen nach dem anderen in die Hand, aber in Wirklichkeit hatte er keine Ahnung, also probierte er sie der Reihe nach aus. Der nicht … der auch nicht … der war zu altmodisch, der nächste glänzte zu sehr für ein so altes Schloss.
Schlüssel drehen. Knauf drehen.
13
Schließlich fand er den passenden Schlüssel. Er musste sich schwer gegen die Tür stemmen.
Das Wohnzimmer, vor dessen Fenstern einst mit geometrischen Mustern bedruckte Gardinen hingen, war jetzt seltsam blumig und beherbergte ein unfassbares Ausmaß an Durcheinander. In Ecken, unter Fensterbrettern, ja sogar auf der Couch stapelten sich Zeitungen und Zeitschriften. Er hatte von solchen Leuten gehört. Sie horteten alles, aus Sorge um … was?
Voller Verachtung bahnte er sich einen Weg zwischen vergilbten Stapeln hindurch, während er überlegte, ob es schlimmer sei, an jedem einzelnen Objekt zu hängen, oder besser, alles loszulassen, ungeachtet seiner Bedeutung oder Wichtigkeit?
Er sah sich im damaligen Schlafzimmer seiner Mutter um, wo er jedoch nichts fand, und ging dann in sein altes Zimmer, das mit den drei hohen Fenstern. Er erkannte es kaum wieder. Dieses Zimmer hatte sich in ein Sammelsurium der Neurosen verwandelt, in einen Ort, wo feucht gewordene Magazine vor sich hinmoderten. All die drei Wände hoch waren verschimmelte Zeitungen gestapelt worden. Er konnte den Raum kaum betreten.
Es schmerzte zu sehen, was sie seinem Zuhause angetan hatten. Es erstickte ihn fast. Er riss die Hintertür auf und sog frische Luft ein, um seine Lungen zu reinigen, während er überlegte, wie viel Zeit er haben mochte. Alle Zeit der Welt, denn die ganze Welt hatte sich auf seine verrückte Suche reduziert.
Er ging rasch zurück in die Küche und ließ seinen Blick durch den Raum gleiten. Schmutzige Arbeitsflächen, das Spülbecken voll dreckigen Geschirrs. Er konnte jedoch nicht gleich ausmachen, wo die Falltür sich befand. Ein Sisalteppich bedeckte
den größten Teil des Fußbodens, und er zog ihn zur Seite, um den fleckigen Holzboden darunter zu mustern.
Ah, ja, schmutzige Ränder, die anzeigten, wo die Falltür sein musste. Doch der Griff ragte nicht mehr heraus wie damals. Er suchte in einer Schublade und fand ein Steakmesser, mit dem er begann, an den Rändern herumzustochern. Nachdem er drei Seiten gereinigt hatte, hob sich die Tür wie der Zugang zu einer uralten Gruft.
Schwarz. Dunkel. Nichts. Kalte Luft stieg auf.
Er ließ die Falltür offen stehen und begab sich auf die Suche nach einer Taschenlampe. In einem der Schränke fand er eine Haarschneidemaschine, einen Rasierer, einen Lockenstab und einen Fön. In einem anderen entdeckte er verschiedene Gerätschaften: Brotbackautomat, Kaffeemühle, Mixer und Sandwichtoaster. All diese Dinge ruhten nolens volens zwischen Ofenrosten, Kaffeebechern und Konservendosen, die alt sein mussten, denn die
Weitere Kostenlose Bücher