Wo die Toten ruhen - Psychothriller
atmete einige Minuten keuchend, der wohl am elegantesten gekleidete Einbrecher, der ihr je begegnet war.
»Warten Sie. Stopp«, sagte er schließlich.
Sie parkte vor einem Schnapsladen auf dem Whittier Boulevard und verschränkte die Arme.
»Ich muss zurück, mein Auto holen.«
Mittlerweile wollte Kat, die neugierig geworden war, nicht, dass er wusste, dass sie ihm gefolgt war. Sie hatte ihren Abstand gewahrt. »Ich möchte wissen, ob Sie in dem Haus jemandem etwas getan haben.«
»Nein. Ich schwöre es.«
»Haben Sie etwas gestohlen?«
»Nein.«
»Warum waren Sie dort?«
»Warum spionieren Sie hinter mir her?«
»Hören Sie, Sie … wissen Sie was? Ich bringe Sie in die Bright Street zurück. Ich hätte das niemals tun dürfen.« Sie warf den Motor ihres kleinen Wagens an und fuhr quietschend vom Parkplatz.
»Nein, bitte nicht.« Sein Gesicht verriet echtes Entsetzen. »Bringen Sie mich nur zu meinem Wagen. Ich verspreche auch, alle Ihre Fragen zu beantworten.«
»Wann?«
»Nicht gleich. Ich habe einen wichtigen Termin in der Firma. Wenn ich zu dem nicht pünktlich komme, verliere ich womöglich meine berufliche Existenz.« Als wollte er sich darauf vorbereiten, wischte er mit einem Taschentuch über das Gelee auf seiner Hose. Kat hielt hinter dem Porsche und reichte ihm eine Visitenkarte.
»Holen Sie mich um halb zehn bei dieser Adresse ab«, sagte sie. »Ich muss Überstunden machen, um das hier wieder auszugleichen.«
»Jacki, geh ans Telefon. Ich bin’s. Jacki?«
Keine Antwort. Kat, die auf der Santa-Monica-Schnellstraße
auf dem Heimweg war, legte auf, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Jacki sollte ihr helfen, die seltsamen Vorkommnisse des Tages zu interpretieren, also war Jacki, die immer da war, wenn man sie nicht brauchte, natürlich nicht da, wo sie sie mal wirklich brauchte, oder sie ging nicht ans Telefon.
Sie rief noch einmal an. »Wo bist du?«, fragte sie Jackis Anrufbeantworter. Der klägliche Tonfall ihrer Stimme gefiel ihr gar nicht, doch sie konnte nichts dagegen tun. »Jacki, du musst mich unbedingt sofort anrufen.«
Wo konnte sie nur sein? Jacki trennte sich nie von ihrem Handy. Kat wählte Raouls Handynummer, doch auch er ging nicht dran. Dann rief sie Raoul in der Universität an.
Raouls Assistent nahm den Anruf entgegen. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte eine ruhige Stimme.
»Ich muss dringend mit Raoul sprechen. Ich bin seine Schwägerin, Kat«, fügte sie hinzu, nur für den Fall, dass er das hatte, was Kats Chef eine Gift-Liste nannte, eine Liste, nach der einige Menschen durchkamen und anderen auf ewig der Zugang verwehrt war. Normalerweise hatten Familienmitglieder keine Schwierigkeiten, doch nicht immer stimmte das. Jeder hatte einen Onkel Gerald, jemanden, mit dem er nie im Leben mehr sprechen wollte.
»Raoul ist nicht da«, sagte die Stimme automatisch. Dann: »Sie sind die Schwester seiner Frau?«
Unter den gegebenen Umständen weckte der beängstigende Wandel der Stimme am anderen Ende von ruhig zu besorgt in Kat den Wunsch zu schwafeln. »Ja«, brachte sie schließlich hervor.
»Sie ist im UCLA Medical Center.«
»Sie bekommt ihr Kind?«
»Das weiß ich nicht. Sie haben sie im Krankenwagen hingefahren.«
Krankenwagen? Waren das nicht die großen weißen Fahrzeuge, mit denen äußerst kranke Menschen transportiert wurden, die es womöglich nicht schafften? Fuhren sie nicht mit quietschenden Reifen die Straße hinauf, weckten Babys und Hunde und ließen Menschen mit den Zähnen knirschen? »Warum?«
»Ich fürchte, sie hatte einen Unfall. Sie wurde von einem Auto angefahren.«
Ein Klopfen an seiner Bürotür unterbrach Ray. Er war gegen halb vier ins Büro gekommen und hatte damit den Antoniou-Termin versäumt und das gesamte Treffen verpasst.
»Herein.«
»Endlich sind Sie da. Gott sei Dank«, sagte Denise. »Egal.«
»Hi, Denise.« Die gute Nachricht war, dass sie bereit war, mit ihm zu reden.
Sie trat vorsichtig in sein Büro.
»Ich muss Ihnen sagen, dass es so nicht weitergehen kann.«
»Was meinen Sie damit?«
»Ich meine, wir brauchen Sie hier. Wir brauchen einen Chef.«
»Wo ist Martin?«
»Er war zu dem Treffen hier. Als Sie nicht aufgetaucht sind, hat er Antoniou weggeschickt und ist gegangen. Er hat nicht mal mit Suzanne gesprochen. Ich glaube, er hat Angst, genau wie wir alle. Was ist los? Sie sind nie da.«
Ray rutschte auf seinem Stuhl herum. »Es tut mir leid.«
Denise setzte sich energisch auf eine Bank vor dem
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