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Wölfe der Nacht

Wölfe der Nacht

Titel: Wölfe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Percy
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geht zu Paul, der, noch immer mit geballten Fäusten, ein paar Schritte vom Kopfende des Tisches entfernt steht. Zwei Mitglieder der Planungskommission weichen zur Seite, als Tom sich zwischen sie beugt und die Blaupause kurz anschaut. »Es gibt da einen Trick, den die Holzindustrie immer abzieht. Es ist ein guter Trick. Sie fällen Tausende Hektar Kiefern und Fichten, aber an den Straßenrändern lassen sie die Bäume sehr dicht stehen, um die Kahlheit dahinter zu verdecken. Bringt jeden dazu, diese Werbesprüche von Weyerhaeuser zu glauben, in denen es heißt: › Oregon werden die Bäume nie ausgehen. ‹ Aber man muss nur auf einen Berg steigen und nach unten schauen, und wie sieht es aus? Es sieht aus wie Scheiße.« Er deutet mit dem Kinn auf die Projektkarte. »Wie Scheiße.«
    Er wendet sich dem Reporter zu, dessen Stift über den Notizblock saust. »Schreiben Sie das nicht«, sagt er. »Schreiben Sie Folgendes. Sind Sie bereit?«
    Der Reporter nickt, ohne den Blick vom Notizbuch zu nehmen.
    »Jetzt werde ich ein bisschen was über den Stolz der indianischen Nationen sagen, das man in der Zeitung bringen kann. Okay? Los geht’s!« Sein Stimme bekommt das Timbre eines Traums, als er in die Runde sagt: »Die Weißen brauchten fünfzig Jahre, um die Tasmanier so gut wie auszurotten. Ungefähr dieselbe Zeit für die Bisons. Und wenn man sich in Warm Springs umschaut, wenn man sich die Cree und die Sioux und die Chippewa und den Rest von uns anschaut, sieht man nichts anderes mehr als das Gerippe einer einst stolzen indianischen Nation. Und das weiße Establishment pickt weiter an unseren Knochen, nagt ab, was noch übrig ist, bis nichts mehr von uns übrig ist. Der Canyon ist das, was von uns noch übrig ist. Aber nicht mehr sehr lange.« Er schaut den Reporter an und fügt mit jetzt wieder normaler Stimme hinzu: »Haben Sie das oder muss ich es noch einmal wiederholen?«
    Der Reporter legt Daumen und Zeigefinger zum Perfekt -Zeichen aneinander.
    Bobby schaut auf die Uhr und dann in die Runde der Planungskommission. Sie haben alle die bedrückten Mienen von Kindern, die sich eben eine elterliche Strafpredigt anhören mussten. Sie haben das alles schon öfters gehört. Aus Respekt vor Beschwerden der Indianer hatte Bobby eine Gruppe von Archäologen der University of Oregon engagiert, die nach zweimonatigen Recherchen nichts anderes aufweisen konnten als ein paar kaputte Pfeilspitzen und eine einzige, in die Basaltwand des Canyons geritzte Felszeichnung.
    Am Ende stimmt die Kommission zu Bobbys Gunsten, und als er die Kaffeebecher von der Karte nimmt, rollte sie sich langsam zusammen wie eine Faust.
    Justins Vater ist nie mit ihm nach Hawaii oder Disneyland oder zum Mount Rushmore gefahren. Stattdessen belud er die Pritsche seines Pick-up mit Campingausrüstung und sie fuhren ins Christmas Valley, zum Umpqua River oder ins Malheur Preserve, wo sie mit ausgetrockneter Kehle über ein Wüstenplateau wanderten oder in schlangenförmigen Flüssen fischten oder im Wald nach essbaren Pilzen suchten. Jeden November fuhren sie zur Jagd in den Echo Canyon, hoch oben in den Ochoco Mountains, zwischen den hohen Kiefern und Bärengraswiesen. Obwohl Justin seit Jahren nicht mehr dort war, hat er eine starke Beziehung zu seinen dunklen Wäldern, wie sein Vater.
    Das war der Grund, warum sein Vater, als Bobby vor einem Jahr mit seiner Firma – der Paul Caves Hand Hewn Log Cabin Company – Kontakt aufnahm, zwar »Ja« sagte, aber mit einem unüberhörbaren Unterton der Frustration in seiner Stimme.
    Erfahren hatte Justin es im Hinterhof seines Vaters, wo sie Pfeil um Pfeil in einen Rehbock aus Polyurethan schossen, den sein Vater zwanzig Meter entfernt am Waldrand aufgestellt hatte. Er trug einen Lederköcher auf dem Rücken. Der Köcher war randvoll mit Pfeilen aus dem Holz einer norwegischen Kiefer, die er aus einem Wald an der Ostsee importierte, wo das kalte, raue Wetter für langsameren Wuchs und gutes, hartes Holz sorgte, wie er zumindest behauptete. Er befiederte sie mit roten Hahnenfedern.
    In einem flüssigen Bewegungsablauf griff er hinter sich, um einen Pfeil aus dem Köcher zu ziehen, setzte die Hartholzkerbe auf die Sehne, spannte den Bogen und schoss ohne zögern, immer und immer wieder, sodass die Pfeile über den gemähten Rasen zischten und mit befriedigendem Sirren und Klacken ihr Ziel fanden. Für einen großen, kräftigen Mann, dessen Hände so ledrig und breit waren, dass sie aussahen wie Werkzeuge, konnte

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