Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
danach hundeelend gewesen. Aber im Gegensatz zu früher erschien ihm das im Rausch Hingeworfene hinterher nicht genial, sondern einfach nur wirr. Nasrin dagegen hatte ihn inspiriert. Zumindest hatte er während der letzten Tage einige Ideen gehabt, aber jetzt fraßen die Selbstzweifel erneut an ihm. Würde er je etwas Bahnbrechendes zu Wege bringen?
Andererseits hieß es ja oft, daß nur Menschen, die tiefes Leid erfahren hatten, in der Lage waren, wirklich große Dinge zu schaffen. Er hatte sich durch den Tod seiner Eltern dazu prädestiniert gefühlt, aber schließlich verloren alle Menschen irgendwann ihre Eltern, ohne daß sie deswegen Großes schufen. War es ein anderes Drama, das das Schicksal für ihn vorgesehen hatte? Eine unerfüllte Liebe als Voraussetzung für sein Schaffen?
Das Telefon klingelte. Atemlos keuchte er seinen Namen in den Hörer.
»Hat Arne noch was gesagt, wann er nach Köln fährt?«
Robin schluckte. Daran würde er sich gewöhnen müssen, für den Rest seines Lebens bei jedem Telefonklingeln Herzrasen zu bekommen und danach diesen Faustschlag der Enttäuschung, genau in den Magen.
»Er fährt heute nachmittag.«
»Gut«, sagte Klara.
Es fiel Robin nicht leicht, seine eben noch tiefgründigen Gedanken auf die logistischen Abläufe in einem Schweinestall zu reduzieren, aber er nahm sich zusammen. »Wenn ich die Abendfütterung bei den Ebern auslasse, dann werden sie morgen früh hungrig sein wie die Wölfe, wie es so schön heißt.«
»Hoffentlich«, sagte Klara.
Er legte auf und schob den unangenehmen Gedanken an den Toten im Keller beiseite. Sein Denken begann wieder um Nasrin zu kreisen. Wann war sie gegangen? Hatte sie sich im Morgengrauen weggeschlichen, wie eine Diebin? Was für ein abgedroschenes Klischee, notierte der Schriftsteller in ihm gerade, da schlug ein Gedanke mit der Wucht einer Spaltaxt in sein Hirn: Was, wenn Nasrin gar nicht gegangen war?
Sein Herz schlug schneller, und seine Handflächen wurden feucht. Was hatte Barbara heute morgen gesagt? Sie sei eine Gefahr, solange sie lebt.
Was, wenn sie ihr nun etwas angetan hatten? Vielleicht waren sie Komplizen, Hannes und Klara, und vielleicht auch Barbara, als Mitläuferin. Gab es in seiner Umgebung überhaupt noch einen Menschen, dem er trauen konnte?
Der Gedanke riß ihn aus seiner Lethargie, er sprang auf, lief im Zimmer auf und ab und trat schließlich trotz des feuchten Wetters auf den Balkon. Die Tulpen in Barbaras Garten hatten die Köpfe geschlossen, ein Windspiel hing naß vom Ast des Apfelbaumes, das Gemüsebeet, das Nasrin im hinteren Teil hatte anlegen wollen, war schwarz wie ein … Der Gedanke elektrisierte Robin geradezu. Er fuhr in seine Gummistiefel, rannte aus dem Haus und fand sich wenig später mit Schaufel und Spaten bewaffnet in Barbaras Garten wieder, wo er die schwere, nasse Erde umgrub, ohne Rücksicht auf die jungen Salatpflänzchen. Sein Rücken begann nach wenigen Minuten zu schmerzen, aber er grub, als zählte jede Sekunde. Eine Stunde lang tobte er sich aus, um dann den Spaten hinzuwerfen und mit den völlig verdreckten Stiefeln zurück ins Haus zu rennen. Er hämmerte gegen Klaras Tür, aber sie öffnete nicht. Er fand sie beim Zwinger, wo sie die Büsche zurückschnitt, die mit dem Gitter verwachsen waren.
Er faßte Klara an der Schulter und drehte sie zu sich herum.
»Was habt ihr mit ihr gemacht?« schrie Robin. Die vier Wölfe im Zwinger sprangen auf und kamen knurrend an das Gitter gelaufen.
Klara schüttelte seine Hand ab. »Reiß dich gefälligst ein bißchen zusammen.« Sie fuhr fort, einen wuchernden Knöterich zu stutzen. Manche Männer können einfach nicht mit Verlusten umgehen, dachte sie verärgert.
»Sie würde nie einfach so abhauen.«
»Sicher?« entgegnete Klara, obwohl sie wußte, daß es zwecklos war. »Warum läßt du deine wilden Phantasien nicht lieber in deine Arbeit einfließen? Schreib doch einen Krimi.«
Sie erwartete Protest, aber Robin sah durch sie hindurch, als wäre sie aus Glas. Dann, ziemlich plötzlich, wurde sein Gesichtsausdruck lebendig. Klara wartete, um den Grund dafür zu erfahren, aber Robin sagte nur: »Ich krieg es raus!«
Als er in seinen Gummistiefeln davonstolperte, sah ihm Klara mit gerunzelter Stirn nach.
Sie erwarteten ihn vor dem stuckbeladenen, säulenflankierten Haupteingang des Amtsgerichts. Eine Fotografin, ein Beleuchter und eine sehr schlanke Frau in einem schwarzen Kostüm mit kurzem, dunklem Haar. Sie kam Hannes
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