Wolfsdunkel -7-
rangegangen?“
„Muss rausgefallen sein. Zum Glück hast du angerufen, sonst hätte ich es nie gefunden.“
„Was hast du da draußen gemacht?“
Grace verschwand im Haus, ließ die Tür aber offen, was ich als Einladung verstand, ihr zu folgen.
Das Innere war noch fast genau so, wie ich es in Erinnerung hatte – ein altes Gemäuer, das im Laufe der Jahre peu à peu modernisiert worden war. Die Wandfarbe war eine andere. Ein neuer Teppichboden hellte die Diele auf, und im Wohnzimmer standen neue Möbel. Die Hartholzböden glänzten ein bisschen stärker als zu Zeiten von Grace’ Vater.
Was die Küche betraf, war sie bereits in den Achtzigern renoviert worden und bestach noch immer durch blaugrüne Geräte und einen pfirsichfarben-weißen Vinylboden. Echt geschmackvoll.
In der kleinen Gästetoilette neben der Diele lief Wasser, dann ging die Tür auf, und Grace kam vollständig bekleidet – abgeschnittene Jeans und ein blaues Batik-T-Shirt – heraus. „Möchtest du einen Drink?“
Sie ging in die Küche. Mir blieb nur die Wahl, ihr zu folgen oder allein in der Diele stehen zu bleiben.
Grace wandte sich vom Kühlschrank ab und zielte mit einer Bierdose auf meinen Kopf. Ich fing sie, wenn auch ungelenk. Als ich den Verschluss öffnete, sprudelte das Bier so schnell heraus, dass ich etwas davon abtrinken musste, um eine Schweinerei zu verhindern.
Sie nahm einen kräftigen Zug aus ihrer Büchse, bevor sie aus dem dunklen Rechteck des Fensters starrte, das den Garten überblickte. „Ich hatte etwas gehört“, murmelte sie.
„Und deshalb bist du im Morgenmantel nach draußen gerannt?“ Das sah ihr nicht ähnlich. Das Gleiche galt im Übrigen für den Morgenmantel.
Sie zuckte die Schultern, ging jedoch nicht weiter darauf ein.
„Was, wenn das, was du gehört hast, der Wolf war?“
„Ich denke, dass dieser Wolf längst fort ist.“
„Falsch gedacht.“
Grace hatte gerade wieder ihre Büchse zum Mund geführt, aber jetzt hielt sie inne, schluckte laut, dann setzte sie sie mit einem metallischen Klacken auf dem Tresen ab. „Du hast ihn gesehen?“
„Ja.“
Nachdem ich ihr geschildert hatte, was passiert war, rechnete ich halb damit, dass sie sich eine Waffe schnappen und davonstürzen würde, aber das tat sie nicht.
„Ich konnte heute keinen einzigen Hinweis auf ihn entdecken“, bekannte sie, „und auch Ryan Freestone wurde von niemandem gesehen. Ich muss einen Jägertrupp zusammenstellen.“
„Wann?“
„Gleich morgen.“
Ich verzog das Gesicht. Grace stand genauso lange wie ich im Licht der Öffentlichkeit; sie wusste, was ich dachte.
„Ich werde die Sache unter Verschluss halten. Wir brechen bei Morgengrauen auf und sind aus der Stadt, bevor die Einwohner, ganz zu schweigen von den Touristen, aus den Federn sind.“
„Danke.“
„Ich kann es nicht hinausschieben.“
„Ich weiß.“
„Ich dachte wirklich, dass sich das Tier inzwischen in die Berge geflüchtet hätte. Warum bleibt es so nahe bei den Menschen? Das passt nicht zu einem Wolf.“
„Er könnte tollwütig sein.“
„Du steckst wirklich voller froher Botschaften.“
Ich nippte wieder an meinem Bier. „So bin ich nun mal. Eine echte Susi Sonnenschein.“
Grace schnaubte verächtlich. „Ich werde ihn morgen unschädlich machen.“
„Ich weiß“, wiederholte ich.
Schweigen breitete sich aus, aber es war nicht kameradschaftlich, sondern angespannt, und ich verstand nicht, warum. Ich musste es brechen.
„Es sieht hier fast noch so aus wie früher.“
„Ich habe weder die Zeit noch das Geld, viel umzumodeln.“
„Spielst du auf eine Gehaltserhöhung an?“
„Darauf spiele ich laufend an. Gewöhn dich dran.“
„Meine Bemerkung war übrigens nicht böse gemeint“, erklärte ich. „Ich habe auch nicht die Energie oder die Zeit, mich um mein Haus zu kümmern.“
„Ich … “ Sie brach ab, trank einen Schluck Bier, blickte zur Decke und seufzte. „Oben habe ich ein bisschen was verändert.“
„Ach ja?“
„Ich habe Dads Schlafzimmer in mein Büro verwandelt und mein eigenes auf Vordermann gebracht.“
„Hast du etwa das * NSYNC -Poster abgenommen?“
„Das musste ich. Es war zu peinlich.“
„Und die Barney-Geröllheimer-Bettwäsche?“
„Die ist auch weg.“
In Wahrheit hatte es in Grace’ Zimmer, anders als in meinem, nie etwas Peinliches gegeben. Meine Pompoms, die Einhörner, die rosarote und weiße Spitze – ich wollte lieber nicht daran denken. Ich schlief jetzt im
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