Wolfsfieber - Band 2
„Ich kenne ihn flüchtig. Er ist in der Mannschaft, die Viktor manchmal trainiert. Und der arme Junge hat nicht die leiseste Ahnung, dass er heute Nacht dem Teufel von der Schippe gesprungen ist“, murmelte ich für mich und lehnte mich an Istvans Brust. Die Augenlider waren so schwer.
„Seit du mit mir zusammen bist, bekommst du nicht viel Schlaf, was?“
Ich konnte nicht einmal richtig den Kopf schütteln. Er zog mich weiter an sich. Nur schemenhaft bemerkte ich, dass er sich mit mir auf dem Sofa zum Schlafen legte. Der Honig-Wald-Geruch, den er mitgebracht hatte, machte, dass alles wieder gut wurde. Selbst die nervigen Schmerzen in meinem Unterarm nahmen jede Minute, in der ich an seiner Brust lehnte, ab, bis sie nur noch ein schwacher Eindruck im Hintergrund waren. Istvans wärmendes Feuer war viel stärker als alle körperlichen Schmerzen der Welt.
Den Großteil des Morgens verschlief ich und kam zu spät zur Arbeit. Wäre ich auch nur zehn Minuten später dran gewesen, hätte ich den Politiker verpasst und mit dem angeforderten Bandschnittfoto wäre es nichts geworden. Aber selbst dann hätte ich noch immer die überzeugende Ausrede mit dem verletzten Arm gehabt. Und dennoch war es klar, ich bekam diese Sache mit dem Doppelleben immer weniger gut hin. In Gedanken begann ich es bereits, den Clark-Kent-Effekt zu nennen. Schließlich arbeitete der auch als Reporter. Doch es gab auch gute Neuigkeiten. Die letzte Vollmondnacht würde heute zu Ende gehen und Farkas war mit seiner Meute weit genug aus der Stadt geflohen. Ich konnte also der letzten Verwandlungsnacht gelassener entgegensehen. Manchmal muss man eben nehmen, was man kriegen kann! Und solange das Istvan mit einschloss, war das mehr als genug. Für mich jedenfalls.
21. Überraschungsmoment
„Denkst du wirklich, dass das nötig ist?“ Er reagierte nicht.
„Istvan“, rief ich fast, „ich rede mit dir!“
Wieder einmal starrte er auf meinen Verband und war derart weggetreten, dass er mich überhörte. Er. Ausgerechnet!
„Hmm? Entschuldigung, was hast du gesagt?“, fragte er und ließ den Blick von meinem Arm wegschnellen. Es war zu spät dafür. Ich atmete tief ein, bevor ich wiederholte: „Ich habe dich gefragt, ob du denkst, dass es wirklich nötig ist, die Valentins abwechselnd patrouillieren zu lassen.“ Er starrte mich an, als liefe ich nicht ganz rund.
„Ja“, blaffte Istvan empört, „das ist nötig !“
„Wieso denn? Ich meine, Radu und Petre überwachen doch alles. Wozu also müssen die anderen sich derart verausgaben? Und sag jetzt bloß nicht, es ist meinetwegen, sonst schreie ich noch.“
Ich schnaufte beinahe, weil ich mich derart in Rage redete. Jetzt hatte ich Istvan endgültig am falschen Fuß erwischt. Er schoss von seinem Platz hoch, an dem er fast immer saß, wenn wir in der Bibliothek waren, und raufte sich die Haare. Ich versuchte ihn festzuhalten und setze mich stattdessen auf den Tisch, direkt vor seinen Stuhl.
„Bitte, rede mit mir“, flehte ich und versuchte meine schlechte Laune zu überwinden. Istvan machte noch ein paar sehr tiefe Atemzüge mit geschlossenen Augen, ehe er sich wieder setzte.
„Du willst, dass ich mit dir rede, dann kannst du aber nicht gleichzeitig von mir verlangen, dich anzulügen. Denn … ob es dir gefällt oder nicht: Es. Ist. Deinetwegen!“ Istvan schnauzte mich an, wie ich es bei ihm gar nicht kannte. Über meine kleine Zum-Wohle-meines-Bruders-Selbstverstümmelungsnummer kam er einfach nicht hinweg.
„Aber Farkas und seine Meute sind doch wieder weg. Wen sollen die Valentins denn mit ihren Patrouillen verscheuchen?“, fragte ich. Teils, um das leidige Thema meiner Verletzung zu vermeiden, teils aus reinem Interesse. Er wich meinem bohrenden Blick aus. Oh, oh!
„Es … vielleicht … es könnten geringere Söhne sein. Vielleicht“, murmelt Istvan kaum hörbar. Die hatte ich vollkommen vergessen. „Verdammt“, sagte ich schwach, bevor ich ihn wieder ansah. Besorgte grüne Augen kreuzten meinen Blick. Istvan biss sich auf die blasse Unterlippe. Offenbar bereute er, es mir gesagt zu haben.
„Joe“, meinte er abschwächend „es ist nur eine Theorie. Aber es könnte sein, dass er sie vorschickt, um die Lage auszuloten. Ähnlich, wie wir es bei ihm tun. Nur können wir sie schwerer aufspüren. Immerhin sind sie normale Menschen und wegen des schönen Wetters sind so viele Wanderer unterwegs, dass wir Schwierigkeiten haben, Freund und Feind zu
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