Wolfsfieber - Band 2
ich kannte, waren vertreten. Das alles konnte er nur in Wart besorgt haben, als er sehr früh, nach einer kurzen Nacht, aufgestanden war. Ich dachte nur eins, als ich mich umsah: „Wie könnte ich diesen Mann nicht lieben!“
Anstatt auf seine Rückkehr zu warten, hinterließ ich ihm einen Zettel, auf dem stand, dass ich bis zum Öffnungsschluss der Bibliothek wieder da sein würde. Nachdem ich mich angezogen und fertig gemacht hatte, schnappte ich mir die Autoschlüssel. Es war so unendlich nervig, jedes Mal von ihm zu mir gehen zu müssen, nur um meinen Wagen abzuholen, weil niemand mein parkendes Auto, das dort die ganze Nacht stehen würde, vor seinem Haus sehen durfte.
Als spazierte ich mit einer Sonnenbrille geschützt langsam bis zu meiner Garage und bugsierte mich in das dampfende Auto. Für eine anständige Klimaanlage, die tatsächlich kühlte, reichte mein Budget nicht. Ich war mir nicht sicher, ob das, was ich vorhatte, Istvan gefallen würde, aber ich musste es tun. Seit meinen wirren Fieberfantasien ging mir dieses eine Bild von dem Löwen, der sich zu meinen Füßen legt, nicht mehr aus dem Kopf. Je öfter ich mir den Löwen ins Gedächtnis rief, desto sicherer war ich, dass er grüne anstatt dunkler Augen hatte, und die Art, wie er sich so vertrauensvoll vor mich legte, war ebenfalls vertraut. Ich hatte einen Verdacht. Aber den konnte ich nur bestätigen, wenn ich Martin aufsuchte.
Als ich im Pfarrheim von Rohnitz ankam, waren etwa zwei Dutzend Kinder im Garten, die sich gegenseitig mit Gartenschläuchen abspritzten oder in winzigen Schwimmbecken planschten. Als mir ein kleines braunhaariges Mädchen auf den Schuh trat, hielt ich es fest.
„Was macht ihr hier denn alle?“, fragte ich sie. Wovon sie nicht begeistert war.
„Heute ist doch Kindertag . Das weiß doch jeder!“, raunte sie und flitzte wieder zurück zu dem kühlen Wasserstrahl, was ich ihr, trotz ihrer Frechheit, nicht verdenken konnte. Kindertag …? Ach, ja. An Kindertagen, eigentlich Kinder-Hitzetagen, spendiert die Kirche den Kindern Eis und sie durften im schattigen Garten spielen, wenn es im Sommer besonders heiß war. Ich kämpfte mich durch die schreienden und planschenden Energiebündel, bekam dabei reichlich Wasser ab, das zu meiner Enttäuschung lauwarm war, und betrat die Hinterzimmer des Pfarrhauses, wo ich einen triefenden, völlig erledigten Martin vorfand, der mich begrüßte und dann stöhnte:
„Nie wieder Kinder-Hitzetag! Das halten meine Nerven nicht aus. Und ich bin Pfarrer!“ Er ließ sich auf die Bank plumpsen, als wäre es die erste Minute des Tages, an der er sitzen konnte.
„Du siehst ganz schön geschafft aus. Soll ich eine Petition für dich einreichen, die es dir erlaubt bei Kinder-Hitzetagen nach Ungarn auszuwandern, ohne dass dir die kleinen Monster folgen dürfen“, neckte ich ihn und setzte mich auf die Bank vor ihm. Es gelang mir nur mäßig, das spöttische Grinsen zu verbergen, das heftig in meinen Mundwinkeln zuckte.
„Ja, lach du nur! Aber vielleicht mach ich das wirklich. Dann würdest du staunen“, warnte er mich atemlos. Martin konnte nicht einmal einer Fliege damit drohen, sie an die Wand zu klatschen. So war er nun mal.
„Ich weiß, es ist reichlich schäbig von mir, hier nur aufzutauchen, weil ich dich um einen Gefallen bitte, vor allem wenn du auf die kleinen Monster da draußen aufpassen musst, aber ich würde gerne in das Taufregister reinsehen, wenn’s dir nichts ausmacht?“, bat ich um Ernsthaftigkeit bemüht. Er runzelte die Stirn und fragte ohne Umschweife: „Wieso das denn?“
„Ich würde gerne den Eintrag über meine Großmutter sehen. Also müsste ich das Taufbuch von den 20ern einsehen. Und bitte frag mich jetzt nicht, wieso, denn ich kann’s dir nicht erklären“, sagte ich wohl wissend, dass genau solche Äußerungen erst recht neugierig machen. Aber ich war das Lügen satt und es war einfach zu heiß!
„Na fein, von mir aus. Du weißt ja, wo mein Büro ist. Der Schlüssel ist in der Schublade und die Bücher in dem kleinen Zedernschrank dahinter. Tu dir keinen Zwang an. Ich kann dir nicht helfen, denn eigentlich dürfte ich die Bande keine Sekunde aus den Augen lassen, aber ich brauchte nur eine Minute ohne Sonne und ohne Gebrüll“, murmelte er abgekämpft. Ich nickte und wartete, bis er mit verbissenem Gesicht nach draußen ging. Man hätte meinen können, er würde in die römische Arena zu den Löwen geschickt.
Apropos Löwe! Ich musste mich
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