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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Adelmann
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Ich hatte sofort pro-
    testiert. Istvan sagte mir schon von Beginn an, dass ich nie
    dabei sein würde, wenn er sich verwandeln müsste. Ich hat-
    te ihm erklärt, ich hätte keine Angst und dass ich es sehen
    müsste. Denn erst wenn ich ihn selbst mit eigenen Augen
    sehen würde, als Wolf, wäre es für mich Realität. Ich hielt an
    meiner Theorie fest, so wie er an seinem Standpunkt.
    Aber nun war es Anfang Oktober und die Vollmondnäch-
    te standen unmittelbar bevor. Sehr viel war seither passiert.
    Ich hatte mehr über Istvans Vergangenheit und über die
    Existenz von Werwölfen erfahren, als ich je für möglich ge-
    halten hätte. Natürlich wollte ich es jetzt auch sehen. Ich
    musste. In jeder Stunde konnte ich an nichts anderes den-
    ken. Doch wie würde ich ihn dazu überreden können? Die
    Zeit lief mir davon. Der Moment zu handeln, war gekom-
    men.
    Ich stand am frühen Morgen auf, was ich sonst sorgsam
    vermied. Ich konnte kaum die Augen aufhalten. Die ganze
    Nacht hatte ich mich von einer Seite auf die andere gedreht,
    geplagt von unzusammenhängenden Träumen und Bildern,
    die sich im Grunde immer um dasselbe drehten.
    Ein Wolf. Ein Mann. Ein Mann, der zum Wolf wurde.
    Einmal waren es schreckliche Bilder eines von Schmerzen
    gepeinigten Istvan, dem Haare aus den Poren schossen oder
    dem die Haut aufplatze. Ich wusste, ich würde noch voll-
    kommen wahnsinnig, wenn ich weiterhin meiner Fantasie
    erlaubte, diese Szenarien heraufzubeschwören. Ich war fest
    davon überzeugt, diese Albträume würden verschwinden,
    könnte ich nur sehen, wie es wirklich vor sich ging. Es war
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    das Unbekannte, das mir Angst einjagte. Die Unwissenheit.
    Und nicht etwa die Tatsache, dass Istvan zu einem Wolf wür-
    de. Dessen war ich mir ganz sicher.
    Ich wickelte mein Pyjamahemd ganz fest um meinen
    Oberkörper. Es war kühl an diesem Oktobermorgen. Ich
    nahm meine Tasse Kaffee in die Hand und nahm ein paar
    gierige Schlucke. Mein Lebensretter um sechs Uhr früh.
    Ich öffnete die Eingangstür und nahm die Zeitung von der
    Schwelle, wie an jedem Morgen. Wieder zurück am Küchen-
    tisch blätterte ich hektisch in der Tageszeitung. Erst beim
    zweiten Durchgang hatte ich sie entdeckt. Die Wetterseite.
    Ich las schnell und überflog alles Überflüssige. Kühle Okto-
    bertage, mit angenehmer Temperatur. Leichte Bewölkung,
    aber vorwiegend trocken. Endlich sah ich es. Mondphase:
    zunehmend. Morgen: Vollmond. Das bedeutete, heute, an
    diesem Dienstag, fand die erste Vollmondnacht statt.
    Heute würde ich nicht bis Nachmittag warten können,
    um die Bibliothek aufzusuchen. Ich würde schon am Vor-
    mittag bei Istvan einfallen und mit ihm die Möglichkeit be-
    sprechen, seiner ersten Verwandlung in diesem Monat bei-
    zuwohnen. Ein harter Kampf stand mir an diesem Tag bevor.
    Ich nahm noch zwei weitere Tassen Kaffee. Diesmal schwarz.
    Dann ging ich unter die Dusche.
    Ich betrat die Bibliothek. Das schwere Tor fiel hinter mir mit
    einem lauten Krachen ins Schloss. Doch Istvan hatte schon
    lange vor diesem Geräusch seine Aufmerksamkeit dem Ein-
    gang zugewandt. Er sah mich mit seinen stechenden, grü-
    nen Augen an. Ich spürte, dass er schon wusste, weshalb
    ich gekommen war. Am Vormittag, kurz vor der offiziellen
    Öffnungszeit, und nicht wie sonst am Nachmittag.
    Diesmal war alles ganz anders. Ich stand am Eingangstor.
    Starr. Unfähig, mich auch nur einen Zentimeter zu rühren,
    und Istvan starrte mich bedeutungsvoll und besorgt an. Das
    Buch, das er noch in der Hand hielt, wurde fast zerquetscht
    von seinem festen Griff. Die Adern seiner linken Hand tra-
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    ten deutlich hervor. Aber waren die Anspannung und Symp-
    tome einer bevorstehenden Nacht der Verwandlung Auslöser
    seiner Unruhe oder mein Besuch und die unerwünschte Ab-
    sicht, die er sofort an mir bemerkt hatte?
    Langsam, und dabei immer seinem durchdringenden
    Blick standhaltend, ging ich auf ihn zu. Der Eingangskorri-
    dor schien mir in diesem Moment unendlich lang und mit je-
    dem Schritt spürte ich, wie meine Unsicherheit sich steiger-
    te und meine Entschlossenheit schwand. Das hatte nichts
    mit einem Mangel an Mut zu tun. Es waren die Verzweiflung
    und die Traurigkeit, die sein ganzes Wesen ausstrahlte, die
    mich zögern ließen.
    Und hielt ich mich sonst immer auf Abstand, unserer fri-
    schen Freundschaft zuliebe, stellte ich mich jetzt sehr dicht
    vor ihn. So, wie er es anfangs immer bei mir getan hatte. Ich
    hoffte, ihn damit auf dieselbe Weise zur

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