Wolfskrieger: Roman (German Edition)
beim Töten gespürt. Er begriff es nicht.
Lieaibolmmai war ein ehrlicher Mann und hatte keine Freude an der dunklen Magie, die man ihm gezeigt hatte. Er suchte nur nach Macht, um sich zu verteidigen, und nicht, um einen Vorteil zu erlangen. Er wusste, was er tun musste – dem Mädchen, das er verschleppt hatte, und dem Wolfsmann, den er verzaubert und verdammt hatte, etwas Hoffnung geben. Er ging tiefer in die Höhle hinein und warf Seile hinab.
»Der Wolf ist da«, rief er in die Dunkelheit. »Bleibt unten, bis er mit Töten aufhört. Ich werde mich bemühen, ihn aufzuhalten und …«
Er konnte den Satz nicht mehr vollenden. Ein Urinstinkt sagte ihm, dass hinter ihm eine Gefahr drohte, die viel schlimmer war als der Sturz in die Dunkelheit, bei dem er sich das Genick brechen konnte. Er machte einen Schritt nach vorn.
Feileg und Adisla hörten, wie Lieaibolmmai unten aufprallte und aufschrie. Er hatte sich den Arm ausgerenkt und konnte die Schmerzen nicht unterdrücken.
Dann kam leise irgendein anderes Wesen herunter.
In der Schwärze war ein Würgen und ein Husten zu hören. Das Wesen schnaufte, knurrte und schnappte immer wieder zu. Adisla hörte es schnüffeln und prüfend wittern. Sie war dem Zusammenbruch nahe, konnte sich nicht mehr konzentrieren und an nichts anderes mehr denken als an die schrecklichen knurrenden Laute, die im Hals des Wesens entstanden, und in denen sie sogar einige Worte zu erkennen glaubte.
»Meine Liebe«, sagte es. »Ich habe dich gefunden.«
43
Ein Opfer
V ali. Dieser Name beschrieb immer noch das Wesen, dem Adisla in der dunklen Grube begegnete.
Wie viele Veränderungen muss man durchleben, bis man nicht mehr der Alte ist? Wie viele Planken kann man bei einem Schiff ersetzen, bis man sagen muss, dass man ein neues Boot gebaut hat?
Von Valis Kinn tropfte das Blut der Zauberer, sein Geist war voll vom Geruch ihrer Panik, und doch, da er nun Adisla gefunden hatte, erwachte eine schwache Erinnerung an das, was er eigentlich war, undeutlich und kaum erkennbar, wie ein fernes Ufer im Nebel auftauchen mag. Dies war das Mädchen, das er liebte, seit er ihr zum ersten Mal begegnet war. Er kämpfte die anderen Wahrnehmungen nieder – das köstliche Aroma der Angst, das sie umgab, ihr köstliches Fleisch, sogar die Drohung, die von ihr ausging, denn sie war nicht er selbst, und alles, was außerhalb war, empfand er als feindselig und gefährlich.
»Nein«, sagte Adisla. »Nein.« Im Dunkeln konnte sie nichts erkennen, rein gar nichts, und das machte diese Kreatur noch entsetzlicher, als sie es mit ihrer heiseren Stimme und dem heißen Atem sowieso schon war.
»Ich habe dich gefunden, wie ich es gelobt habe«, erklärte Vali. »Komm mit mir, wir verlassen diesen Ort.«
Adisla wich zurück und tastete nach Feilegs Hand.
»Was bist du?«, fragte sie.
»Deine Liebe. Vali.«
Der Noaidi versuchte unterdessen, die Schmerzen zu unterdrücken, obwohl er immer wieder leise stöhnen musste. Vali fand die Qualen des heiligen Mannes sehr anziehend, es war ein Ruf, sich an ihm zu nähren. Er fühlte sich durch und durch lebendig, seine Muskeln bezogen ihre Kraft aus dem bohrenden Hunger.
»Komm mir nicht zu nahe«, sagte Adisla. Im Dunkeln klammerte sie sich an Feileg. Vali konnte sie deutlich sehen und bleckte die Zähne, die Beine waren schon bereit zum Sprung. Doch er überwand sich und hielt sich zurück.
Feileg ergriff das Wort. »Er ist es. Ich habe den Anfang seiner Veränderung beobachtet. Er ist der Prinz.«
Adisla schüttelte den Kopf.
»Lass mich dich von hier fortbringen«, drängte der Wolf.
Adisla atmete scharf ein und wich noch weiter zurück. »Ich gehe hier nicht weg.«
»Lieber weggehen als in der Feuchtigkeit und Dunkelheit bleiben«, wandte Feileg ein. »Geh nur. Wenn du an der Reihe bist zu sterben, dann muss es eben geschehen.«
»Ich fürchte nicht den Tod, nur ihn.«
»Er ist, wie die Nornen ihn haben wollen. Geh jetzt.«
Sie weigerte sich, doch Feileg schob sie nach vorn. Dann löschte die Angst alle ihre Gedanken aus, und sie sträubte sich nicht mehr, als Vali sie hochhob. Ihr Gewicht spürte er kaum, als er sie zum oberen Ende des Schachtes schob und sich dann mit seinem menschlichen Arm hinaufzog. Drei Noaidis standen am Eingang der Höhle. Hinter ihnen war bereits die Sonne aufgegangen, tauchte die Felsen im Gang in flüssiges Gold und zeigte den Zauberern, wen Vali trug. Sie schossen Pfeile auf ihn ab. Vali kehrte ihnen den Rücken zu, um Adisla
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