Wolfsruf
heiliger Kreis, gezogen
mit dem Wasser aus seinem Körper, über das er sein Lied gesungen hatte, damit das Leben darin blieb, auch nachdem es seinen Körper verlassen hatte. Innerhalb des Kreises wehte kein Wind, es war warm. Der Körper würde hier reglos liegen blieben, bis seine Seele zu ihm zurückkehrte.
Aber was war mit den anderen Seelen, die in jenem Wald in seinem Inneren gefangen waren?
Auch sie müssen träumen, sagte der Wolfsjunge zu sich selbst.
Und er ließ seinen Geist in den Wind steigen.
Im nächsten Augenblick befand er sich hoch über der Welt. Er sah seinen eigenen Körper ruhig inmitten des Kreises stehen und ins Leere blicken. Über ihm zogen die Wolken am Mond vorbei. Ein Adler kreiste neben ihm. Der große Vogel setzte zum Sturzflug an, und auch er fiel, wurde in den Windschatten des Tieres gesogen. Und er rief in der Sprache der Wesen mit Flügeln: »Lass mich die Welt durch deine Augen sehen, Wambliwashté. Vater, até, zeig mir die Welt.«
Sofort schien ihm die Welt entgegenzuspringen und zu schwanken und zu beben und sich von einer Seite zur anderen und um ihn herum zu erstrecken. Er trudelte. Die Berge erhoben sich. Schwarz und silbern, die Mondstrahlen gekrümmt, irisierend. Der Adler kreiste, und die Welt kreiste. Die Berge rasten. Die Bäume zitterten. Und er stieg, stieg in Regionen, wo die Luft dünner war. Dort war das Lager seines Volkes, der Shungmanitu Tanka.
Er konnte die Menschen sehen, kleine Menschen, die sich um die Wärme des Lagerfeuers scharten - um das Tipi Ishnazuyais, seines irdischen Vaters, Fremde und doch nicht Fremde, Menschen, die er aus anderen Leben kannte. Da war eine Frau, die ihm einst viel bedeutet hatte - wie hieß sie? Einer der anderen würde es wissen. Und der Junge - er hatte ihn einst Mitálkola, mein Freund, genannt.
Warum waren sie gekommen? Shungmanitu Hokshila wusste
es nicht. Der Adler flog höher. Unter ihm falteten sich die Berge auf wie ein altes Büffelfell. »Vater, Vater, wohin trägst du mich?«, rief er aus. Aber der Adler antwortete nicht. Er schlug nur mit den Schwingen, segelte gegen den Luftstrom. Wolkenfetzen wirbelten um sie herum. Der Wind dröhnte. »Ich kann nicht mehr atmen!« Der Wind stach in seinen Lungen, eiskalt, schneidend.
Die Wolken teilten sich, und der Wolfsjunge sah die ganze Welt im weichen Mondschein liegen. Es war nicht die Welt, die er kannte, sondern die Welt vor der Ankunft der Weißen. Obwohl der Wind tobte und die Berge hinabraste, obwohl die Lust von den Schreien der vierfüßigen und geflügelten Wesen und vom Donnern des fallenden Wassers widerhallte, war es eine Welt in Harmonie. Es war kein Paradies - es gab Schmerzen, Schmerzen der Gejagten, Schmerzen des Todes. Er hörte den Tod überall im Wind, Tausende Todesschreie, und doch geschahen diese Tode im Einklang mit der Welt, denn nie wurde das Leben genommen, wenn es nicht freiwillig gegeben wurde. Die Beute, die bereit war, den Pfeil zu empfangen, kam, um ihn zu suchen, und der Jäger bat ihren Geist um Vergebung. Es gab auch Krieg in diesem Land, aber dieser Krieg war gerecht und ehrenhaft, nicht sinnlos wie der Krieg der Washichun.
Endlich sprach der Adler: »Hier ist der Platz des Mondtanzes.« Sie wandten sich nach Süden, dem Flachland hinter den Black Hills zu. Dort lag er, kaum mehr zu erkennen: eine hohe Felsformation wie ein Wolf, der sich zum Sprung vorbereitet. Der Adler fuhr fort, und in seiner Stimme schwang uralte Weisheit: »Alle müssen dort tanzen, wenn der große Zyklus der Wandlung kommt, alle Wölfe. Du musst sie einen neuen Tanz lehren, und sie müssen tanzen, bis die alte Welt verwittert ist und eine neue Welt entsteht. Nur dann werden die weißen Wölfe und die roten Wölfe Frieden finden.«
Schon wurde die Vision schwächer, verlor sie sich im tosenden
Wind - er sah die Häuser der Washichun aus dem Boden schießen, Eisenpferde über die Prärie donnern, die Stadt Winter Eyes um den Wolfsfelsen wachsen und ihn mit dem Rauch aus ihren Kaminen einhüllen -, die Welt verschwamm, trübte sich, schimmerte, verschob sich, und jetzt sah er andere Eisenpferde, schnellere, die wie Feuer über die dunkle Erde fegten, und Eisenvögel, die mit Feuerschwänzen über den Himmel jagten, und Menschen, immer mehr Menschen, mehr als einst Büffel über die Prärie gezogen waren.
Verzweifelt schrie der Wolfsjunge auf! »Ist das die Zukunft? Wie kann ich sie aufhalten, ich allein?«
»Es ist nur eine von vielen Möglichkeiten. Führe
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