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Wolkengaenger

Titel: Wolkengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Philps , John Lahutsky
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sich dagegen aufzulehnen, selbst wenn sie wusste, dass ihre Vorgesetzten einen verhängnisvollen Fehler begingen. Mir wurde
     klar, dass Adela im stalinistischen Russland groß geworden war, wo man eigenes Gedankengut für sich behielt. Noch immer wusste
     ich nichts von Wikas Existenz und sie nichts von meiner.«
    Während Sarah Adelas Anweisung völlig gelähmt gegenüberstand, ahnte sie nicht, dass Wika genau die gleiche Aufgabe übertragen
     worden war. Und mit ihrem jugendlichen Eifer hatte diese sich bereits aufgemacht, das Unmögliche möglich zu machen.

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    |89| 6.
ALLEN GLEICHGÜLTIG
    Mai 1996
    Ähnlich Sarahs anfänglicher Ohnmacht brauchte auch Wika einige Zeit, bis sie sich stark genug und in der Lage fühlte, Wanja
     zu besuchen.
    »Anfang März kam ich ins Babyhaus«, erinnert sich Wika, »und traf Adela und ihre Stellvertreterin beunruhigt an. Sie teilten
     mir mit, dass Wanja am Tag zuvor den Anweisungen des Ministeriums gemäß in ein Internat überwiesen worden war. Vollkommen
     geschockt war Swetlana von dort zurückgekehrt. Das Internat übertraf alles, was sie bisher gesehen hatte. Wanja war geradezu
     hysterisch geworden, hatte sich gegen die Eisenstäbe des Gitterbetts geworfen und Swetlana angefleht, ihn nicht dort zu lassen.
    ›Vielleicht sollte ich ihn besuchen gehen‹, platzte es unbesonnen aus mir heraus, woraufhin Adela meine Hand nahm, mir in
     die Augen sah und mich eindringlich bat, es zu tun. Dann nahm sie einen Stift, schrieb etwas auf ein Stück Papier und drückte
     es mir mit den Worten in die Hand: ›Gehen Sie, gehen Sie zu ihm.‹
    Wochen gingen dahin. Mein Gewissen plagte mich, und ich erfand Ausreden: Hin- und Rückfahrt würden einen ganzen Tag in Anspruch
     nehmen. Im Rückblick erkenne ich, dass ich voller Selbstzweifel war. Was konnte ich, eine junge Frau, schon für Wanja tun?
     Wer war ich denn, dass ich einfach in ein Internat für Erwachsene hineinplatzen konnte? Ich schob es immer wieder auf.
    Eines Morgens wachte ich auf und spürte, dass ich es nicht länger hinausschieben konnte. Der Gedanke an Wanja, so, wie |90| Adela ihn beschrieben hatte, nackt und hinter hohen Metallstäben, zwang mich zu handeln. Ich rief meinen Chef an und meldete
     mich krank, obwohl ich lange hatte suchen müssen, um diese Stelle zu finden, und ich das Geld dringend brauchte. Mein neuer
     Chef klang verärgert.«
    Wika fuhr mit der U-Bahn bis zur Endstation und kramte in ihrer Tasche nach der Wegbeschreibung, die Adela ihr gegeben hatte.
     Sie sollte den Bus Nr. 611 nehmen. Sie bahnte sich einen Weg durch die Menge zur Bushaltestelle. Die Fahrt führte vorbei an
     vierzehnstöckigen Wohnblöcken, die sich kilometerlang hinzogen. Dahinter taten sich Felder und Wald auf. Irgendwo auf freier
     Strecke hielt der Bus. Wika lief den anderen Fahrgästen hinterher und stieg zwei Treppen zu einer Überführung hinauf. Auf
     der anderen Seite der Schnellstraße war von Zivilisation noch immer keine Spur.
    Sie fragte sich, wo in aller Welt sie nur war, folgte den anderen aber weiter. Sie kletterte in eine Senke hinab, einen grasbewachsenen
     Hügel wieder hinauf und schlängelte sich einen Pfad entlang, der an einem asphaltierten Streifen endete. Dort standen nebeneinander
     drei Überlandbusse, uralte Gefährte, deren Motoren freilagen, damit die Fahrer einfach herausspringen und sie reparieren konnten,
     wenn sie wieder einmal ausfielen. Wika ging zu dem Bus mit der Nummer 15, stieg ein und wartete auf die Abfahrt.
    Nach und nach füllte sich der alte Bus. Ein Mann stieg ein, in der Hand nichts außer einer Flasche Head&Shoulders-Shampoo.
     Wika fragte sich, ob er ebenfalls auf dem Weg nach Filimonki war. Wahrscheinlich wollte er einen Verwandten baden. Als Nächstes
     nahm eine Frau mit einem Einkaufsnetz voller Bananen neben ihr Platz. Vielleicht, dachte Wika, wollte sie die ihrem Sohn mitbringen.
     Bald war der Bus voll besetzt.
    Sie schaute aus dem Fenster, das derart schmutzig und zerkratzt war, dass sie das Gefühl hatte, durch verschmutzte Brillengläser
     zu sehen. Draußen zog nun die offene Landschaft an ihr vorbei, und der Anblick des saftig grünen Frühlingsgrases auf den Feldern
     hob ihre Stimmung.
    |91| Sie erreichten ein Dorf, und der Bus hielt vor einem verfallenen Holzhaus, das eigenartig schief stand, als ob es drohte,
     im Boden zu versinken. Im Vorgarten türmte sich Schrott, und ein angeketteter Hund bellte unermüdlich.
    »Ist das hier Filimonki?«, fragte sie die

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