Wood, Barbara
Turner
schauen, Doktor?«
»Eine
ausgezeichnete Idee, Miss Conroy!«, erwiderte Sir Marcus, ohne zu merken, dass Hannahs Blick auf eine Frau in Grün
gerichtet war, die auf sie zukam. »Außerdem liegt mir viel daran, wie Sie den
neuen Fall beurteilen. Ist es Ihnen recht, wenn ich am Hotelausgang auf Sie
warte?«
Hannah
nickte, wandte sich, als Sir Marcus gegangen war, an Neal. »Du siehst ja, ich muss gehen. Außerdem möchten sich alle möglichen Leute mit dir über deine
Fotos unterhalten.«
»Hannah,
wir müssen unbedingt miteinander reden«, brach es aus ihm heraus. »Morgen früh.
Als Allererstes. In meinem Studio?«
»Morgen
früh muss ich im Vereinshaus der Quäker
mithelfen, Kleidung an die Armen zu verteilen. Aber nachmittags hätte ich
Zeit.«
Sie legte
ihre behandschuhte Hand in seine Hand, spürte, wie ihr dabei das Herz bis zum
Hals klopfte. »Ich möchte alles erfahren, was du so erlebt hast«, sagte sie,
obwohl sie mit Bangen seinem Bericht über die Verlobte entgegensah. »Ich für
meinen Teil kann jedenfalls mit einer durchaus erstaunlichen Geschichte
aufwarten.«
Alice, die
unweit des Eingangs mit Freunden plauderte, sah, wie Hannah ihr Cape
entgegennahm und mit Dr. Iverson das Hotel verließ. Kaum dass die Kutsche
abgefahren war, richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Gedränge in der
Halle, entdeckte am entgegengesetzten Ende Neal Scott inmitten einer Schar von
Gästen, die ihm ihre Hochachtung aussprachen und ihn mit Fragen zu seinen
Bildern bestürmten.
Sie sah,
wie er urplötzlich die Hand hob, etwas zu Blanche sagte und dann eine
unscheinbare Tür mit der Aufschrift »Privat« neben dem Empfangstresen
ansteuerte. Er verschwand dahinter, tauchte aber kurz darauf wieder auf und
begab sich zu dem Tisch, an dem die Gebote für die Versteigerung notiert
wurden.
Was
verbarg sich hinter jener unscheinbaren Tür?, überlegte Alice.
Mit einer
Entschuldigung schlängelte sie sich durch zum Empfangstresen und nahm auf dem
Weg immer wieder Glückwünsche entgegen. Bei besagter Tür angekommen, legte sie
die Hand wie zufällig auf den Knauf, und nachdem sie sich vergewissert hatte,
dass keiner sie beobachtete, öffnete sie rasch die Tür, schlüpfte hindurch und
schloss sie hinter sich.
Sie war in
einem schwach beleuchteten Raum gelandet, in dem sich in Regalen Kartons mit
Briefpapier stapelten, saubere Wäsche, leere Blumenvasen und gereinigte
Spucknäpfe. Und mitten auf dem Boden standen große Holzkisten, an den Seiten
mit ZERBRECHLICH beschriftet und mit Packstroh voneinander getrennt. Hinter hohen
Schränken hörte sie es rascheln und jemanden vor sich hin pfeifen. Schritte
hallten auf dem Steinfußboden wider, und dann tauchte von hinten ein junger
Mann auf, mit einer Rolle Schnur und einer Schere. Er trug keine Jacke, hatte
die Ärmel seines Hemdes hochgekrempelt, Hosenträger spannten sich über seine
breiten Schultern.
Jäh blieb
er stehen, brach sein Pfeifen ab. »Hallo«, sagte er und lächelte.
»Hallo«,
erwiderte Alice. Ihr mit Brillanten besetztes Diadem funkelte im Schein der
flackernden Öllampen. Gegen ihren Willen starrte sie den gutaussehenden jungen
Mann unverwandt an. Die Kerbe in seinem Kinn und der cupidohaft geschwungene
Mund erinnerte sie an ein Bild von Lord Byron. Dieser junge Mann hier besaß die
gleichen, von langen Wimpern umrahmten seelenvollen Augen wie der berühmte
Dichter, das gleiche üppig gewellte Haar.
Alice warf
einen Blick auf die Kisten, die mit Neal Scott,
Fotoatelier beschriftet waren, und schloss daraus, dass sie zum Transport
der gerahmten Fotografien bestimmt waren. »Könnte es wohl sein«, fragte sie mit
einem flatternden Gefühl im Bauch, »dass Sie es waren, der mir ein Geschenk hat
zukommen lassen, Sir? Ein gerahmtes Aquarell?«
Wenn er
wüsste, wie hinreißend er aussieht!, sagte sie sich, als der junge Mann
errötete. Der Begriff »schwarzer Ire« fiel ihr ein, mit dem man in Irland, wo
die Bevölkerung vornehmlich rothaarig war, diese dunkelhaarigen Menschen
bedachte, die dem Vernehmen nach von den Überlebenden der Spanischen Armada
abstammten.
»Ich muss gestehen, dass ich Sie heimlich bewundere«, erwiderte er und streckte
ihr die Hand entgegen. »Fintan Rorke, zu Ihren Diensten.«
Sie
tauschten einen Händedruck, wobei Fintan die Hand von Alice länger als nötig
festhielt, genauso wie seine schwarzen Augen ihre nicht losließen.
»Die
Fotografien von Mr. Scott sind beeindruckend«, sagte Alice. »Und ich finde
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