WoW 01 - Aufstieg der Horde
oberen, waagerecht liegenden Felsplatte, das Maul weit aufgerissen, sodass man die nadelspitzen Zähne sehen konnte. Sie hatte scharfe, echsenhafte Krallen und Zacken auf dem Rücken. Durotan hatte so etwas noch nie gesehen und fragte sich kurz, wie den Steinmetzen solch ein Bild hatte einfallen können. Ein Albtraum vielleicht? Er grinste. Alles in allem war es ein recht gelungenes Bauwerk.
Aber er würdigte diese Kunstfertigkeit nur am Rande. Seine Blicke waren auf den jungen Draenei gerichtet. Der sah so entsetzlich klein aus im Vergleich zu dem enormen Tor – klein, dünn und verletzlich. Er starrte mit leerem Blick auf das Meer der Orcs, die ihn anbrüllten. Er war bereits so weit jenseits des Schreckens, dass er offenbar nicht einmal mehr Angst empfand.
»Was werden sie mit ihm machen?«, fragte sich Draka laut.
Durotan schüttelte den Kopf. »Ich fürchte das Schlimmste.«
Sie wandte ihm das Gesicht zu. »Ich sah, wie sie in der Schlacht Kinder erschlugen. Der Blutrausch hatte sie erfasst – ich werde es ihnen nie verzeihen, aber ich verstehe, wie es geschehen konnte. Aber sicherlich werden sie kein Kind für irgendein Ritual töten!«
»Ich hoffe, du hast recht«, sagte Durotan. Aber er konnte keinen anderen Grund erkennen, warum die kleine Gestalt dort vor ihnen stand. Wenn aber seine Befürchtungen zutrafen, würde er nicht einfach zuschauen können. Er wollte seinen Clan nicht noch mehr in Gefahr bringen, deshalb betete er, dass er falsch lag.
Die Hexenmeister sangen, und zu Durotans Erstaunen erschien Gul'dan direkt vor ihren Augen. In der Horde erhob sich ein Murmeln, während Gul'dan ihnen wohlwollend zulächelte.
»Heute ist ein glorreicher Tag für die Orcs!«, rief er. »Ihr alle wart Zeugen, wie das Portal gebaut wurde, das ein Monument für den Ruhm der Horde darstellt. Jetzt werde ich euch die Visionen zeigen, die ich habe.«
Er deutete auf das Tor. »Weit, weit weg liegt ein Land namens Azeroth. Ich habe dort einen Verbündeten. Er bietet uns sein Land an. Es ist grün und fruchtbar, mit sauberem Wasser und fetten Kreaturen. Und das Beste daran: Wir werden weiterhin Blut vergießen können. Ein Volk, genannt Menschen, der Feind unseres Verbündeten, wird versuchen, uns davon abzuhalten, dieses Land in Anspruch zu nehmen. Wir werden sie vernichten. Ihr dunkles Blut wird unsere Schwerter benetzen. So wie wir die Draenei ausgelöscht haben, so werden wir jetzt die Menschen auslöschen!«
Jubel brandete auf. Draka schüttelte ungläubig den Kopf. »Wie können sie immer noch so fühlen? Begreifen sie denn nicht, dass dieses neue Land genauso leiden wird wie unser altes, wenn wir so weitermachen?«
Durotan nickte zustimmend. »Aber leider haben wir keine andere Wahl. Wir brauchen Nahrung und Wasser. Wir müssen durch das Portal gehen.«
Draka seufzte, als sie die Logik erkannte, die sie dennoch nicht mochte.
»Unser Verbündeter wird das Portal von seiner Seite aus öffnen, sobald wir dies auf unserer Seite machen. Und das werden wir jetzt tun.« Gul'dan wies auf den kleinen gefangenen Draenei. »Unser Geschenk an die, die uns diese großen Kräfte geben, ist reines, unverdorbenes Blut. Und das Blut eines Kindes ist noch reiner und unverdorbener. Mit dem Lebenssaft dieses Feindes öffnen wir das Portal und treten in eine herrliche neue Welt, und eine neue Epoche in der Geschichte der Horde beginnt!«
Er trat zu dem gefesselten Kind, das ihn mit leeren Augen anschaute. Gul'dan zog einen juwelenbesetzten Dolch. Er glitzerte im Sonnenlicht.
»Nein!«
Durotan hatte es gerufen. Jeder drehte sich um und starrte ihn an. Er drängte vorwärts. Wenn diese Unternehmung durch das Blut eines unschuldigen Kindes ermöglicht wurde, konnte nichts Gutes daraus erwachsen.
Er schaffte keine drei Schritte, bevor er zu Fall gebracht wurde und hart auf die sonnengebackene Erde aufschlug. In dem Moment, da es passierte, hörte er Drakas Kriegsruf und den Klang von Metall auf Metall. Chaos brach aus. Er kämpfte sich auf die Füße und sah den Körper des Kindes. Blaues Blut sprudelte aus seiner aufgeschnittenen Kehle.
»Gul'dan! Was hast du uns angetan?«, kreischte Durotan, aber sein Protest ging im Gebrüll des aufgehetzten Mobs unter. Die Frostwölfe drängten heran, um ihren Häuptling zu schützen. Die Kriegsrufe waren fast schon ohrenbetäubend. Durotan wurde der Atem aus der Lunge gepresst, als der Angreifer – er konnte nicht sagen, von welchem Clan er war – ihn erneut attackierte. Zur
Weitere Kostenlose Bücher