Würstelmassaker
Stauffar in die Trafik gebracht hat ?« , wollte Palinski jetzt wissen.
»Er hat die Frau Kommerzialrat gefragt, wer denn so was macht. Aber sie hat nur gemeint, sie will diese Person nicht bloßstellen, ihr noch eine Chance geben .«
»Es muss jemand sein, der regelmäßig zur Frau Stauffar gekommen ist«, rekapitulierte Palinski. »Also die Nichte scheidet bei diesem Motiv aus. Wahrscheinlich jemand vom Personal, eine geheime Vertraute aus dem Haus.«
»Oder die Friseuse«, warf Florian ein.
»An die habe ich auch schon gedacht«, räumte sein Partner ein, »aber die heißt Isabella. Ich glaube, wir müssen jemand suchen, dessen Namen mit V beginnt .«
»Richtig, die Eintragungen im Kalender«, erinnerte sich der junge Kollege. »Aber vielleicht haben die auch ganz etwas anderes zu bedeuten .«
*
Nachdem Marisa die Briefe Susannes an Rose zwei Mal gelesen hatte, war die sonst so selbstsichere junge Frau völlig durcheinander. Zunächst hatte sie der seltsame Reiz dieser Dokumentation einer wachsenden Zuneigung, ja Liebe zwischen den beiden Frauen irritiert, dann fasziniert.
Als sie die Passage erreicht hatte, in der Susanne berichtete, dass sie sich »I love …« und eine schwarze Rose auf den Schenkel hatte tätowieren lassen, war ihr eingefallen, dass und was sie über Susanne Bartl und die schwarze Rose erst vor Kurzem in den Nachrichten gehört hatte.
Die Frau, die diese wunderbaren Worte geschrieben hatte, war tot, ihr Leichnam in mehrere Teile zerstückelt worden. Und Rose, die hier gewohnt, die Briefe Susannes gelesen und sicher auch beantwortet hatte, war plötzlich über Nacht verschwunden. Und das, ohne die höchst intimen Briefe mitzunehmen, die sie extra vor den neugierigen Augen Dritter versteckt hatte. Das passte absolut nicht zu dem Bild, dass sich Marisa von dieser feinfühligen, gefühlvollen jungen Französin machte. Sie hatte vielmehr den schrecklichen Verdacht, dass Rose ebenfalls Opfer des »Schlächters« geworden sein könnte und ihre unidentifizierten Teile bereits in der Gerichtsmedizin lagen. Fieberhaft überlegte Marisa, was sie jetzt tun sollte, ja musste. Rasch zog sie sich an, steckte die Briefe in ihre Handtasche und verließ ihre neue, kleine Wohnung. Sie hatte Angst, alleine zur Polizei zu gehen, abgesehen davon, dass sie gar nicht wusste, wo sich das nächste Kommissariat befand.
Sie überlegte, wem sie sich anvertrauen konnte. Als Erstes probierte sie es an Werners Türe, doch der hatte ja auswärts einen Termin. An den schmierigen Arthur wollte sie sich nicht wenden. Sie vertraute diesem psychopathischen Schleimer nicht. Niemand wusste, wer der Schlächter war. Und sie wollte Herrn Melham auch wirklich nichts unterstellen. Aber konnte sie sicher sein, dass nicht gerade er …? Nicht, dass sie ihn ernsthaft verdächtigt hätte, aber von allen Menschen, die sie in Wien kannte, traute sie es diesem Komplexler noch am ehesten zu.
Der Hausmeister schien auch ein ganz netter Bursche zu sein. Ein halber Russe, wie aufregend. Die slawische Seele im Verbund mit der deutschen, welch teuflische Mischung. Was wohl Erwin Ringel * davon gehalten hätte.
Sie beschloss, den Zufall entscheiden zu lassen. Sollte sie beim Hinuntergehen auf Viktor treffen, wollte sie ihn um Hilfe bitten. Sonst würde sie sich eben ein Taxi nehmen und zur Polizei bringen lassen.
Das Leben, das für Glücksspiele offenbar viel übrig hatte, ließ sich viel Zeit mit seiner Entscheidung. Marisa war schon aus dem Haus getreten und wollte den nächsten vorbei kommenden Passanten nach dem nächsten Taxistandplatz fragen. Da die erste Person, auf die die junge Frau auf der Straße traf, der sie freundlich anlächelnde Hausmeister war, schlug das Schicksal in diese Richtung aus.
Viktor war nur zu gerne bereit, der neuen Hausbewohnerin gefällig zu sein. Auf dem Weg zu seinem Wagen erzählte ihm Marisa von ihrem Fund und dem sich daraus ergebenden schrecklichen Verdacht. Mit seiner freundlichen, ruhigen Art gelang es ihm aber rasch, die aufgeregte junge Frau wieder zu beruhigen.
*
Da Palinski und Florian den Chef der Trafik, in der Frau Stauffars Lottotipps regelmäßig angenommen worden waren, schon wieder verpasst hatten und Tante Nettie wegen eines Ausfluges ins Burgenland nicht anwesend war, begaben sich die beiden ins Koat Döbling.
Kaum hatten sie Franca Wallner, die den Fall »Stauffar« in Vertretung des von seinem Blindarm befreiten Inspektors Sandegger übernommen hatte, über
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