Yelena und die Magierin des Südens - Snyder, M: Yelena und die Magierin des Südens
verschwand mein Eindruck von Margg als harmloser alter Drache schlagartig. Ich entdeckte die Botschaft, die in den Staub des Schreibpults geschrieben worden war.
Sie lautete: „Mörderin. Der Galgen erwartet dich.“
9. KAPITEL
W ie vom Blitz getroffen, fuhr ich hoch. Die Worte verschwanden aus meinem Blickfeld, aber besser fühlte ich mich trotzdem nicht. Kalte Angst jagte durch meinen Körper, während ich mir die schrecklichsten Dinge ausmalte.
Wollte Margg mich warnen oder mir drohen? Plante sie, das Geld, das sie beim Wetten auf mich verloren hatte, zurückzubekommen, indem sie mich gegen einen Obolus an Brazells Totschläger auslieferte?
Doch warum sollte sie mich warnen?, versuchte ich mich zu beruhigen. Schon wieder hatte ich übertrieben reagiert. Nach allem, was ich von Margg gesehen und gehört hatte, machte es ihr einfach Freude, mich zu erschrecken. Eine kindische Reaktion, nur weil sie meinetwegen mehr Arbeit hatte. Ich beschloss, dass es das Beste sei, mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mir ihre alberne Botschaft zugesetzt hatte. Wenn ich so darüber nachdachte, erschien es mir auf einmal durchaus möglich, dass sie mein Tagebuch gelesen und es offen auf dem Schreibtisch liegengelassen hatte, nur um mich zu ärgern.
Valek hatte mir empfohlen, mich auszuruhen, doch dazu war ich natürlich viel zu aufgeregt. Stattdessen ging ich in sein Wohnzimmer. Marggs Worte hatten mir erneut bewusst gemacht, dass es besser war, auf meinen Instinkt zu hören und keiner Menschenseele zu trauen. Dann würden sich meine Probleme darauf beschränken, Gift aus Speisen herauszuschmecken und Brazell aus dem Weg zu gehen.
Wenn es doch nur so einfach wäre – oder ich so stark! Vermutlich hatten Brazell und Reyad mir meine ganze Vertrauensseligkeitausgetrieben, aber tief in einem Winkel meines Herzens klammerte ich mich immer noch an die Hoffnung, einen wahren Freund zu finden.
Selbst eine Ratte braucht andere Ratten. Ich konnte mich gut in die Nager hineinversetzen, denn auch ich huschte umher, schaute ängstlich zurück und achtete auf Fallen mit giftigen Ködern.
Im Moment war es für mich das Wichtigste, den Tag lebend zu überstehen, aber irgendwann einmal würde ich nach einem Ausweg suchen. Wissen war Macht. Deshalb nahm ich mir vor, still zu sitzen, zuzuhören und soviel wie möglich zu lernen. In Valeks Wohnzimmer wollte ich damit beginnen. Ich nahm einen Stein von einem der Tische und bahnte mir einen Weg durch das Durcheinander seiner Räume. Allerdings suchte ich nur oberflächlich, denn ich traute Valek zu, den Inhalt seiner Schubladen so zu ordnen, dass er es sofort merken würde, wenn ein Fremder darin herumschnüffelte.
Ich entdeckte einige Texte über Gifte, die mein Interesse weckten, aber sie handelten hauptsächlich von Mordanschlägen und Intrigen. Ein paar Bücher hatten verschlissene Ledereinbände und waren in einer archaischen Sprache verfasst, die ich nicht entziffern konnte. Entweder war Valek ein Sammler, oder er hatte die Bände aus der Bibliothek des toten Königs gestohlen.
Am Fuß der Treppe fiel mir ein Lageplan der Burg ins Auge. Er steckte in der Ecke eines Bilderrahmens, der rechts neben der Treppe an der Wand hing. Endlich etwas, das ich gebrauchen konnte. Während ich den Grundriss studierte, kam es mir plötzlich vor, als nähme ich eine Maske, durch die ich zuvor alles nur verschwommen wahrgenommen hatte, von meinem Gesicht. Endlich konnte ich mir ein Bild vonder Burg verschaffen.
Ich verschob meine Erkundungstour durch die oberen Räume auf einen späteren Zeitpunkt und griff nach meinem Tagebuch. Die Zeichnung war nicht versteckt gewesen; Valek konnte mithin auch nicht verärgert darüber sein, dass ich sie gefunden hatte. Vielleicht war es ihm sogar recht, dass ich nicht jedes Mal nach dem Weg fragen musste, wenn ich zu einem neuen Ort geschickt wurde. Ich schob Papiere und Bücher auf dem Sofa beiseite, machte es mir auf dem freigeräumten Platz bequem und begann, den Plan abzuzeichnen.
Ich schreckte auf. Mein Tagebuch fiel zu Boden. Blinzelnd schaute ich durch den von Kerzen erleuchteten Raum. Ich hatte von Ratten geträumt. Sie waren von den Wänden heruntergefallen, durch die Ritzen des Fußbodens gekrochen und wimmelten hinter mir her – ein Meer von angriffslustigen Nagern, die sich mit ihren kleinen scharfen Zähnen in Kleidern, Haut und Haaren festbissen.
Schaudernd zog ich die Füße hoch und ließ meinen Blick argwöhnisch durch das Zimmer schweifen.
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