Yelena und die Magierin des Südens - Snyder, M: Yelena und die Magierin des Südens
Schreibtisch liegen lassen, sodass jeder sie sehen konnte.“ Ehe er weitere falsche Rückschlüsse zog, fuhr ich hastig fort: „Sie springen einem doch geradezu ins Auge. Wenn ich sie schon mit einem flüchtigen Blick be merkt habe, dann muss ten sie doch für denjenigen, der mehr wissen wollte, geradezu eine Aufforderung zum Lesen gewesen sein.“
„Was soll das heißen? Wen beschuldigst du?“
Eine steile Falte bildete sich über seiner Nasenwurzel, als seine Augenbrauen sich zusammenzogen. Für einen kurzen Moment wirkte er besorgt, ehe seine Miene wieder den üblichen undurchdringlichen Ausdruck annahm. Seine Reaktion war sehr verräterisch. Entweder war er davon überzeugt, dass ich den Dienstboten gegenüber alles ausgeplaudert hatte, sodass er gar keine andere Möglichkeit in Betracht zog, oder er konnte den Gedanken nicht akzeptieren, dass es eine Schwachstelle in seinem Sicherheitssystem gab. Wenigstens einmal hatte ich ihn verunsichert – wenn auch nur für eine Sekunde. Wie gerne hätte ich ihn einmal vollkommen fassungslos und kleinlaut erlebt. Eines Tages vielleicht.
„Ich habe einen Verdacht“, sagte ich. „Aber ohne einen Beweis klage ich niemanden an. Das wäre nicht fair. Und außerdem – wer würde mir schon Glauben schenken?“
„Niemand.“ Valek nahm einen der grauen Steine von seinem Tisch und warf ihn nach mir.
Wie versteinert blieb ich stehen, als der Stein an mir vor beisauste und hinter mir gegen die Wand krachte. Graue Krümel rieselten auf meine Schultern und regneten zu Boden.
„Außer mir.“ Er sank auf einen Stuhl. „Entweder bin ich süchtig nach Gefahr, oder das, was du sagst, ergibt einen Sinn, und wir haben tatsächlich eine undichte Stelle. Einen Informanten, eine Klatschtante, einen Verräter. Wer immer es ist, wir müssen ihn finden.“
„Oder sie.“
Valek runzelte die Stirn. „Sollen wir lieber auf Nummer sicher gehen und jemand anderen für die Rolle des Flüchtlings suchen? Oder die Übung ganz absagen? Oder sollen wir weitermachen wie geplant und dich gleichzeitig zum Flüchtling und zum Köder machen? Und unseren Spion auf diese Weise dazu bringen, sich selbst zu entlarven?“ Er schnitt eine Grimasse. „Oder unsere Spionin.“
„Glaubt Ihr nicht, dass Brazell mich gefangen nehmen will?“
„Nein. Es ist noch zu früh. Ich glaube nicht, dass er versuchen wird, dich zu töten, ehe nicht seine Fabrik fertig gestellt ist. Erst wenn er hat, was er will, dürfte es hier interessant werden.“
„Gott sei Dank. Ich kann die Langeweile nämlich kaum noch ertragen.“ Meine Stimme troff vor Sarkasmus. Nur Valek konnte auf die Idee kommen, dass ein Anschlag auf mein Leben eine spannende Abwechslung sein könnte.
Er ging nicht auf meine Bemerkung ein. „Es ist deine Entscheidung, Yelena.“
Meine Entscheidung war in Valeks Plänen nicht enthalten.Ich hätte mich dafür entschieden, an einem Ort zu sein, wo mein Leben nicht in Gefahr war. Wo ich keinen Mörder zum Vorgesetzten hatte und wo es keine unbekannte Person gab, die mein ohnehin schon schwieriges Leben noch komplizierter machte. Ich hätte mich für die Freiheit entschieden.
Ich seufzte. Der sicherere Weg war der verlockendere, aber er würde zu nichts führen. Hatte ich nicht auf grausamste Art am eigenen Leib erfahren, dass es nichts brachte, Problemen aus dem Weg zu gehen? Fliehen und Verstecken waren meine typischen Verhaltensweisen, doch die sorgten nur dafür, dass ich früher oder später in die Falle tappte und nur noch blindlings um mich schlagen konnte.
Das war alles andere als befriedigend. Ich war je des Mal entmutigt, wenn ich die Beherrschung verlor. Doch mein Überlebensinstinkt schien eine eigene Existenz zu führen. Zauberei. Unwillkürlich kam mir das Wort in den Sinn. Nein. Jemand hätte es schon längst bemerkt, wenn ich über magische Fähigkeiten verfügte. Jemand hätte mich gemeldet. Auch, wenn dieser Jemand Brazell war? Oder Reyad?
Entschlossen vertrieb ich den Gedanken. Das war Schnee von gestern. Im Moment plagten mich größere Sorgen. „Gut. Ich werde am Haken baumeln und sehen, welcher Fisch angeschwommen kommt. Aber wer steht mit dem Netz bereit?“
„Ich.“
Langsam ließ ich die Luft aus meinen Lungen entweichen. Der Kloß in meinem Magen wurde kleiner.
„Bleib bei deiner Entscheidung. Ich kümmere mich um alles.“ Valek nahm das Blatt, auf dem mein Name stand, hielt eine Ecke in die Flamme und setzte es in Brand. „Vielleicht sollte ich dich morgen
Weitere Kostenlose Bücher